Kultur

Angriff auf Schwarz-Gelb, Orientierung für die SPD

von Thorsten Hild · 11. Juni 2012

„Stoppt die Spaltung der Gesellschaft!“ Mit dieser unmissverständlichen Aufforderung tut Ursula Engelen-Kefer ihr zentrales politisches Anliegen schon im Titel ihres Buches kund. „Schwarz-Gelb auf dem Prüfstand“, heißt es im Untertitel und ist auch eine Weckruf an die SPD.

Ursula Engelen-Kefer, die ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, leitet ihr Buch mit einer Kritik an der wirtschafts- und sozialpolitischen Bilanz der seit 2009 regierenden schwarz-gelben Koalition ein: „Der vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Termin für die Reform der Regelsätze in Hartz IV Anfang 2011 wurde um Monate überschritten“, wirft Engelen-Kefer der Bundesregierung vor.

„In der Gesundheitspolitik ist der Anfang vom Ende der solidarischen Krankenversicherung eingeläutet. In der gesetzlichen Pflegeversicherung droht eine ähnliche Entwicklung der Privatisierung und Bedienung der privaten Finanzindustrie. Die Rente mit 67 wird trotz mangelhafter Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die steigende Altersarmut ab 2012 durchgezogen.“

Nachbeben der Agenda 2010

Fast überall, wo die schwarz-gelbe Koalition Hand  an den Sozialstaat legt, sind es die Gesetze der rot-grünen und schwarz-roten Vorgängerregierungen, die es ihr so leicht machen – und der SPD in der Opposition so schwer. Ob Hartz IV, die Teilprivatisierung der Sozialversicherungen, die Rente mit 67 oder die von Engelen-Kefer ebenfalls monierten Finanzierungsdefizite in den Kommunen. Ihr zugrunde liegen Steuersenkungs- und Steuerbefreiungspolitik für Reiche, Spitzenverdiener und Unternehmen, ein wachsender Niedriglohnsektor und zunehmende Armut: Engelen-Kefers Analyse der Wirtschafts- und Sozialpolitik und deren Folgen liest sich auch wie eine Aufforderung an die SPD, ihre vergangene Politik der Agenda 2010 doch noch einmal grundsätzlich zu hinterfragen und auf den Prüfstand zu stellen.

„Die Arbeitsmarktpolitik und insbesondere Hartz IV sind nach den diesbezüglich zweifachen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nachhaltig zu reformieren“, fordert Engelen-Kefer beispielsweise und plädiert zur Erhaltung der Umlagefinanzierung der Sozialversicherungssysteme für „die hälftige Beteiligung der Arbeitgeber bei den Sozialversicherungsbeiträgen und den solidarischen Ausgleich zwischen Arbeitnehmer mit verschiedenen Einkommensniveaus“. Im Zusammenhang mit der immer noch akuten Finanz- und Wirtschaftskrise verlangt Engelen-Kefer, „die notwendige ‚Re-Regulierung’ der Finanz- und Kapitalmärkte“ endlich umzusetzen.

Neue Finanzkrisen nicht ausgeschlossen

Detailreich zeichnet Engelen-Kefer das institutionelle Ränkespiel auf Bundes- und EU-Ebene seit Ausbruch der Finanzkrise nach und erklärt auch für diejenigen, die nicht mit der Materie vertraut sind, verständlich das komplexe Instrumentarium, das zur Bewältigung der Eurokrise bisher entwickelt wurde. Es wird deutlich, dass bis heute die wirklich heißen Eisen – die Finanzmarktregulierung und die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte – nicht angepackt wurden. „Trotz spektakulärer Gipfelbeschlüsse im Kreis der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer kann von einer wirklichen Absicherung gegen neue Finanzkrisen keine Rede sein“, kritisiert die Autorin – und hat damit bis heute Recht behalten.

Schwarz-Gelb verschärft Sparkurs

Dass das Sparen nicht nur in den Krisenländern der Eurozone mit unerbittlicher Härte eingefordert und umgesetzt wird, sondern auch weiterhin im eigenen Land, ruft Engelen-Kefer ebenso kenntnisreich ins Gedächtnis des Lesers, indem sie das Sparpaket und die Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente durch die schwarz-gelbe Bundesregierung und deren Auswirkungen analysiert.

Von der Grundsicherung über die Arbeitsmarkt-, Renten- und Gleichstellungspolitik, bis hin zur Tarifautonomie führt Engelen-Kefer schließlich in alle wichtigen sozial- und wirtschaftspolitischen Themenfelder ein und zeigt Fehlentwicklungen wie Lösungsansätze auf.

Empfehlungen an die SPD

Ein Buch, das der SPD für die Bundestagswahl hilfreich sein könnte, wenn sie die darin geführte Diskussion zur Schärfung ihres eigenen Profils nutzt. An Deutlichkeit lässt die Autorin auch in diesem Punkt nichts vermissen: „Es stellt sich die Frage: Kann sich die SPD damit aus dem Würgegriff der Kritiker von rechts an ihrer Hartz-Rolle rückwärts sowie derjenigen von links an der Halbherzigkeit ihrer Hartz-Korrekturen befreien? Sie kann es nur, wenn sie jenseits von Taktik und Flügelkämpfen glaubwürdig die Hoffnungen und Sorgen der Menschen zur Leitmaxime ihres politischen Handelns macht.“

Ursula Engelen-Kefer: Stoppt die Spaltung der Gesellschaft! Schwarz-Gelb auf dem Prüfstand, vorwärts buch Verlag, Berlin 2011, 144 Seiten, 10,00 Euro, ISBN 978-3-86602-161-7

Autor*in
Thorsten Hild

Thorsten Hild arbeitet als freier Journalist und Liedermacher in Berlin. Er hat unter anderem für den Freitag, die taz und Deutschland Radio Kultur geschrieben. Mit Wirtschaft und Gesellschaft unterhält er eine eigene journalistische Plattform. Er hat den Aufruf „Farbe bekennen – gegen entwürdigende Hartz IV Praxis und für berufliche Förderung“ initiiert, den auch viele Sozialdemokraten/innen unterzeichnet haben.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare