Die Krise in der Eurozone spitzt sich weiter zu. Immer mehr Mitgliedsländer geraten in den Fokus spekulativer Attacken der Finanzmärkte, selbst bestgeratete Kernländer müssen um ihr Spitzenrating bangen.
Die Finanzmärkte treiben die Politik vor sich her. Die Eurozone droht an einem zaghaften, zögerlichen und zutiefst marktgläubigen Krisenmanagement zu zerbrechen. Die politisch Verantwortlichen reagieren nur noch und sie tun das mit falschen Rezepten! Sie beteuern den Willen, den „Märkten“ zu entsprechen, statt sie zu bändigen.
Die Regierungen und die EU-Kommission selbst gestehen den Finanzmärkten die Richterrolle über die Staaten und ihre Bürger zu, anstatt solidarisch das Primat der Politik durchzusetzen. Die den Krisenländern aufgezwungene harte und einseitige Sparpolitik führt noch tiefer in den Abgrund und europaweit in die Rezession. Millionen Menschen leiden unter den Diktaten der „Troika“. Es ist zu allererst die deutsche Bundesregierung, die mit ihrem doktrinären Sparwahn, ihrer ideologischen Marktfixierung und ihrem dogmatischen Zentralbankverständnis eine Lösung der Krise verhindert. Mit ihren klammheimlichen Überlegungen zu „Elitebonds“ lässt sie sogar ihre Bereitschaft erkennen, die Spaltung der Eurozone aktiv zu betreiben.
Es ist höchste Zeit, dass die Finanzjongleure und die Vermögenden ihren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten und die Priorität auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtet wird. Die deutsche und europäische Politik braucht eine sofortige Kehrtwende. Wir fordern deshalb: Staatsanleihen garantieren, Refinanzierung aller Euro-Länder sichern, Transfers in die Finanzmärkte stoppen, Wachstum und Beschäftigung fördern.
Der Rettungsfonds (EFSF) erweist sich in allen Varianten als unzulänglich. Es fehlt ein Rettungsanker, an dem sich alle Anleger orientieren können und müssen. Es fehlt eine glaubwürdige Institution, die die Märkte lenkt, den Kurs vorgibt und die Zinsen für Staatsanleihen auf ein volkswirtschaftlich verträgliches Niveau drückt. Dreh- und Angelpunkt jeder vernünftigen Lösung ist und bleibt in einer entwickelten Volkswirtschaft die Zentralbank. Sie ist und bleibt der Kreditgeber letzter Instanz. Auch wenn die Satzung der EZB ihr die direkte Finanzierung der Eurostaaten untersagt, kann und muss der Rettungsfonds diese Stabilisierungsrolle im Zusammenspiel mit der EZB übernehmen.
Dafür soll der Rettungsfonds mit einer Banklizenz ausgestattet werden, um sich wie jede andere Geschäftsbank bei der EZB refinanzieren zu können. Dadurch kann der Rettungsfonds seine Kreditkapazität unbegrenzt aufbauen und notfalls unbegrenzt zu günstigen Bedingungen die Staatsanleihen aufkaufen. Spekulieren gegen den Rettungsfonds oder Staaten wäre dann schlicht sinnlos und die drohende Staatsinsolvenz der Euroländer gebannt. Auf dieser Basis können auch Eurobonds den Markt beruhigen und den zersplitterten Markt für Staatsanleihen vereinen. Ohne die Banklizenz für den Rettungsfonds besteht die Gefahr, dass auch die Eurobonds in einer so verfahrenen Situation „fünf vor zwölf“ nicht wirken würden.
Das Zinsniveau für Staatsanleihen muss politisch dauerhaft stabilisiert werden. Dann ist das Zinsdiktat der Finanzmärkte gebrochen, das Primat der Politik wieder hergestellt. Der Rettungsfonds kann mit der Unterstützung der EZB das Zinsniveau bestimmen und damit die Benchmark für alle anderen Anleger setzen. Spekulationen auf höhere Zinsen sind dann obsolet. Nur so besteht Aussicht, die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Selbstverständlich bedarf es mittelfristig angelegter, verbindlicher Schritte zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
Die Krisenländer brauchen keine die Konjunktur erdrückenden weiteren Spardiktate, sondern Wachstumsimpulse. Deshalb sollen die Euroländer ein umfangreiches europäisches Investitionsprogramm auflegen. Dessen Finanzierung soll durch einen europaweiten Beitrag der Vermögenden und Spekulanten erfolgen.
Die Leistungsbilanzungleichgewichte müssen abgebaut werden. Für Deutschland als größtes Exportüberschussland heißt das, die Binnennachfrage nachhaltig zu erhöhen. Durch Austrocknung des Niedriglohnsektors, Lohnerhöhungen und den Ausbau öffentlicher Investitionen kann Deutschland zum Wachstumsmotor, zu einem attraktiven Absatzmarkt für die Eurozone werden und seinen eigenen Wohlstand steigern.
Nur so können andere Länder ihre Entwicklung aus eigener Kraft finanzieren und Defizite abbauen, ohne den Menschen permanenten Einkommensverzicht zuzumuten und die öffentliche Daseinsvorsorge zu ruinieren. Soziale Mindeststandards bei Löhnen und in den Sozialversicherungssystemen müssen dafür sorgen, dass die drohenden Verarmungs- und Spaltungsprozesse gebremst werden.
Europas Finanzmärkte müssen rigoros reguliert und volkswirtschaftlich schädliche Geschäfte und Produkte wirksam bekämpft werden. Auch wenn eine drohende Bankenkrise durch die Beendigung der Staatsanleihekrise – wie wir hier vorschlagen – erheblich entschärft wird, gilt dennoch: die Banken sind chronisch unterkapitalisiert.
Deshalb müssen Banken, Schattenbanken, Versicherungen und alle Akteure am Finanzmarkt härteren Eigenkapitalvorschriften unterworfen werden, um mögliche Verluste aus eigener Kraft zu bewältigen.
Ohne ein grundlegendes Umdenken und Umlenken bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen, ohne eine Redimensionierung des Finanzsektors und ohne mehr Handlungsfähigkeit der Staaten und ihrer öffentlichen Kassen wird es keine Lösung der Finanzkrise in der EU geben.
Europa braucht dringender denn je einen Kurswechsel hin zu mehr qualitätsorientiertem Wachstum, mehr Beschäftigung und mehr Stabilität, damit statt Armut und Arbeitslosigkeit
Wohlstand für alle in Europa möglich wird.
Erstunterzeichner/innen: Heinz-Joachim Barchmann, MdB; Klaus Barthel, MdB; Willi Brase, MdB; Ismail Ertug, MdEP; Michael Groß, MdB; Wolfgang Gunkel, MdB; Gabriele Hiller-Ohm, MdB; Dr. Bärbel Kofler, MdB; Daniela Kolbe, MdB; Steffen-Claudio Lemme, MdB; Hilde Mattheis, MdB; Ullrich Meßmer, MdB; Manfred Nink, MdB; Reinhold Perlak, MdL; Gerold Reichenbach, MdB; Florian Ritter, MdL; René Röspel, MdB; Werner Schieder, MdB; Franz Schindler, MdL; Ottmar Schreiner, MdB; Swen Schulz, MdB; Birgit Sippel, MdEP; Dr. Thomas Spies, MdL; Andreas Steppuhn, MdL; Rüdiger Veit, MdB; Kerstin Westphal, MdEP; Dr. Dieter Wiefelspütz, MdB; Waltraud Wolff, MdB