Es geht um Fußball, Gewalt, Macht und Wodka. In seinem Buch „Tor zum Osten“ beschreibt der Journalist Olaf Sundermeyer die Fußballwelt in den EM-Gastgeberländern Polen und Ukraine. Dabei prangert er die massiven Probleme an, mit denen der Sport dort zu kämpfen hat. Und doch liest sich dieses Buch wie eine Liebeserklärung.
Mit den großen Ligen in England oder Spanien kennt sich der durchschnittliche deutsche Fußballfan bestens aus. Aber mit Polen? Oder der Ukraine? Die meisten deutschen Fans können nicht einmal die Namen dort spielender Vereine richtig aussprechen – was allerdings auch schwierig ist, wenn sie Jagiellonia Bialystok oder Dnipro Dnipropetrowsk heißen. Doch ab Freitag wird die halbe Welt auf diese beiden Länder schauen, wenn sie die Fußball-Europameisterschaft austragen. Grund genug, die Fußballszene Polens und der Ukraine einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Genau das hat der Journalist Olaf Sundermeyer getan. Jahrelang hat er die osteuropäischen Stadien bereist, mit Funktionären und Trainern gesprochen und Fans kennengelernt. Mit seinem Buch „Tor zum Osten“ hat er nun einen teilweise erschütternden Bericht vorgelegt. Detailliert schildert er, wie verwoben Fußball und Politik sind.
Fußball im Würgegriff der Eliten
In Polen galt der Sportbetrieb laut Sundermeyer lange Zeit „als letzte Bastion der ehemaligen sozialistischen Volksrepublik, durchdrungen von alten Seilschaften, Korruption, Vetternwirtschaft, Alkoholismus und Dilettantismus“. Doch die Situation hat sich gebessert: Polen ist demokratischer geworden, auch im Fußball.
In der Ukraine sind die großen Vereine dagegen fest in der Hand machtbesessener Oligarchen. Sundermeyer beschreibt, wie sie den Sport nutzen, um mit geneigten Politikern Netzwerke zu knüpfen. Gemeinsam bilden sie regelrechte Clans, die das Land ausbeuten und den Staat untergraben. Auch nach Russland wirft der Autor einen kritischen Blick. Auch hier mischt die Politik kräftig mit, zum Beispiel in Form des staatlichen Ölkonzerns Gazprom. Er pumpt Millionen in den Sport, denn Fußball gilt hier laut Sundermeyer als Teil der Außenpolitik. International erfolgreiche Fußballclubs sollen die Großmachtansprüche des Kremls repräsentieren.
Seine Thesen unterlegt Sundermeyer mit zahlreichen Beispielen und Anekdoten. Dadurch ist sein Buch spannend zu lesen. Leider geht ihm aber gelegentlich der rote Faden verloren. Zu viele Aspekte des Ost-Fußballs will der Autor berücksichtigen: politische, sportliche, zwischenmenschliche. Das Ergebnis: Er springt zwischen Zeiten, Orten und Themen hin und her und verwirrt den Leser.
Hooligans nennen den Autor „Bruder“
Lesenswert ist es dennoch, wenn Sundermeyer von seinen Reisen berichtet und skurrile Begegnungen schildert. Etwa sein Zusammentreffen mit ukrainischen Hooligans in Charkow, die den Reporter nach einem durchzechten Abend kurzerhand zu ihrem „Bruder“ erklären. Dass der Autor anschließend ihr Angebot ablehnt, sie bei einer geplanten Klopperei zu unterstützen, können sie nicht verstehen. Ihre Naivität ist fast rührend, sie kennen nur diese Welt der Gewalt. Der Autor schafft es hier, sich klar von der Gewaltfaszination und den rechten Sprüchen der Hooligans zu distanzieren, sie aber trotzdem nicht zu Bestien zu erklären.
Das Buch „Tor zum Osten“ legt den Finger in die Wunden des polnischen und ukrainischen Fußballs. Dank mancher eher beiläufig erzählter Anekdoten wird aber auch deutlich, wie fasziniert Sundermeyer vom osteuropäischen Fußball ist. Das Bild vom „wilden Osten“, das er zeichnet, taugt auch als rau-charmanter Gegenentwurf zur sauberen, glatten, durchkommerzialisierten Fußballwelt der Bundesliga. Natürlich gibt es dort auch nicht nur Hooligans und korrupte Funktionäre, sondern ebenso mutige Fußballreporter und liebenswerte Fans. Auch die hat Sundermeyer auf seinen Reisen kennengelernt. Mit seinem Bericht beweist er: Fußball bringt die Menschen zusammen. Weltweit.
Olaf Sundermeyer: Tor zum Osten. Besuch in einer wilden Fußballwelt. Verlag die Werkstatt, Göttingen 2012, 208 Seiten, 12,90 Euro. ISBN: 978-3-89533-853-
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.