Inland

Gefahren von allen Seiten

von Gabriele Nandlinger · 21. September 2014

Gefahren von allen Seiten

Es ist ein Novum in der Geschichte des Verfassungsschutzes: Erstmals bei der Vorstellung des Jahresberichts muss ein Bundesinnenminister ein Versagen der Behörde und einen erheblichen Vertrauensverlust in deren Arbeit einräumen. Als größten Misserfolg des Verfassungsschutzes bezeichnet Hans-Peter Friedrich das Nichtentdecken des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), der über 12 Jahre Morde, Attentate und Banküberfälle verübt hat.

Hieß es im Vorjahresbericht noch lapidar „auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar“, so wird diesmal immerhin vor weiterem Rechtsterrorismus gewarnt.  Heinz Fromm, der scheidende Präsident des Bundesverfassungsschutzes, schließt nicht aus, dass selbstradikalisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen sich die Taten des NSU zum Vorbild nehmen könnten.

Auch die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff wird als „latentes Gefährdungspotenzial“ bezeichnet. Und Bundesinnenminister Friedrich gibt zu, dass sieben untergetauchte gewaltbereite Rechtsextremisten beim Verfassungsschutz und der Polizei auf der Fahndungsliste stünden.

Gefahr durch individuellen Dschihad

Bei der Vorstellung des Jahrsberichts für 2011am Mittwoch in Berlin bezeichnet Fromm dennoch den islamistischen Terrorismus als nach wie vor größte Gefahr. Das Spektrum islamistischer Terrorstrukturen in Deutschland reiche von Netzwerken gewaltbereiter Islamisten, die in enger Beziehung zu Organisationen im Ausland stünden, über autonome Kleinstgruppen bis zu Einzeltätern. Die Gefahr gehe insbesondere von unstrukturierten dschihadistische Bestrebungen („individueller Dschihad“) aus, die in Deutschland selbstständig Anschläge planten, so der Verfassungsschutzpräsident.

Ein weiteres Phänomen stellen Fromm zufolge die Strömung der so genannten Salafisten dar. Diesen fühlten sich etwa zehn Prozent des auf über 38 000 Personen bezifferten Potenzials im islamistischen Spektrum verbunden. Insbesondere auf junge Menschen übe diese Form des Islamismus Anziehungskraft aus. Laut Fromm sei diese Strömung aber bis zum Mai dieses Jahres in Bonn, als es bei Protesten gegen eine Kundgebung der islamfeindlichen „Pro-Bewegung“ zu Ausschreitungen und Gewalttaten von Salafisten gegenüber Polizeibeamten kam, nicht durch Straßengewalt aufgefallen.

Das linksextreme Personenpotenzials weist dem Verfassungsschutzbericht zufolge einen leichten Rückgang auf 32 100 Anhänger (minus 500) auf. Allerdings haben sich die aus diesem Spektrum begangenen Gewalttaten um rund 20 Prozent erhöht. Vielfach richteten sie sich gegen den politischen Gegner, so Bundesinnenminister Friedrich, der vor einer sich ausbreitenden Gewaltbereitschaft warnt.

Aktionsorientiertheit der „Autonomen Nationalisten“

Die Anzahl der gewaltbereiten Rechten ist dem Verfassungsschutz zufolge um rund 300 auf 9800 Personen angestiegen, damit müssen mittlerweile rund 43,5 Prozent des rechtsextremen Gesamtpotenzials dem militanten Spektrum zugerechnet werden. Deutlich rückläufig mit 7600 Personen (minus 700) ist demnach das subkulturelle rechte Milieu. Fortgesetzt hat sich somit ein in der Szene seit Jahren zu beobachtender Trend weg von der Skinhead-Subkultur hin zu den stärker politisch organisierten Strukturen der Neonazi-Szene. Von den 6000 verzeichneten Neonazis (plus 400)  gehören rund 15 Prozent den militanten „Autonomen Nationalisten“ an. Diese übten wegen ihrer Aktionsorientiertheit und erhöhten Gewaltbereitschaft eine besondere Anziehungskraft auf junge Neonazis aus.

Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straf- und Gewalttaten bewegte sich im Berichtszeitraum in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Unter den 755 Gewalttaten (2010: 762) wurden 640 Fälle von Körperverletzung, fünf versuchte Tötungsdelikte sowie 20 Brandstiftungen registriert. In Relation zur Einwohnerzahl haben im Jahr 2011 rechtsextreme Gewalttäter wiederum in Sachsen-Anhalt am häufigsten zugeschlagen, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen. Das Bundesland Brandenburg, das im Vorjahr noch Platz zwei dieser unrühmlichen Länderstatistik belegte, steht jetzt an fünfter Stelle. An sechster folgt Berlin, das allerdings einen erheblichen Anstieg an rechter Gewalt zu verzeichnen hatte.

Die scientologische Gesellschaft als Fernziel

Größte Partei im rechtsextremen Spektrum bleibt mit 6300 Mitgliedern die NPD, die aber erneut Mitstreiter verloren hat – im vergangenen Jahr 300. Die im Berichtszeitraum noch erfassten 1000 restlichen Anhänger der inzwischen endgültig aufgelösten DVU dürften sich zum Teil auch rechtspopulistischen Formationen zugewandt haben.

Last not least findet sich in dem 368 starken Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums auch ein Kapitel über die rechte Politsekte „Scientology“, der in Deutschland 4000 bis 5000 Personen zugerechnet werden. Die Scientology-Organisation lehne das demokratische Rechtssystem ab und wolle es langfristig durch einen eigenen – überlegenen – Gesetzeskodex ersetzen. Ihr Fernziel sei eine scientologische Gesellschaft, halten die Verfassungsschützer fest.

Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung des „Blick nach rechts“ – bnr.de

Autor*in
Gabriele Nandlinger

ist verantwortliche Redakteurin des Portals „Blick nach rechts“.

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