Inland

"Wir brauchen unabhängige Beratungsstellen, an die sich besorgte Eltern wenden können."

von Ramon Schack · 17. April 2012

Seit einigen Jahren etabliert sich in Deutschland eine militante, islamistische Jugendszene. Wolf Schmidt von der taz. die tageszeitung hat jahrelang zu dieser Szene recherchiert. Im Interview mit vorwärts.de nennt er Gründe für die Radikalisierung und wie man dieser Gefahr vorbeugen kann.

vorwärts.de: Herr Schmidt, der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, sagte im vergangenen Jahr, nicht jeder Salafist sei ein Terrorist, aber jeder ihm bekannte Terrorist sei irgendwann einmal in salafistischen Zusammenhängen unterwegs gewesen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Wolf Schmidt: Die „Zwickauer Zelle“ hat eindringlich klar gemacht, wie groß auch die Gefahr des Terrors von Rechts ist. Etwa 150 Menschen wurden seit der Wende aus rassistischen Motiven getötet. Wenn man aber nur den islamistischen Terrorismus betrachtet, hat Herr Fromm nicht Unrecht: Alle jungen Männer, die von Deutschland aus ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet in den bewaffneten Dschihad gezogen sind, hatten sich vorher in salafistischen Gruppen radikalisiert. Auch der Frankfurter Flughafenattentäter Arid Uka lauschte salafistischen und dschihadistischen Predigern im Internet.

Die Salafistenbewegung hatte kürzlich damit begonnen, Koran-Exemplare kostenlos an Nicht-Muslime in deutschen Innenstädten zu verteilen und im Internet anzubieten. Wie gefährlich ist diese Bewegung?

Dass der Koran in deutschen Innenstädten verteilt wird, damit habe ich kein Problem. Mit den Verteilern, die hinter der Aktion stehen, allerdings schon. Denn die gehören selbst innerhalb des salafistischen Spektrums zum superradikalen Flügel. Manche dieser selbsternannten Prediger befürworten die Todesstrafe für Homosexuelle, preisen den Märtyrertod oder rufen zum bewaffneten Kampf in Afghanistan auf. Aber hysterisch sollte man deshalb nicht werden. Es gibt in Deutschland nur wenige tausend Salafisten. Das sind vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozent aller hier lebenden Muslime. Und nur eine kleine Minderheit dieser Minderheit ist gewaltbereit. Das Kalkül der Koranverteilaktion ist klar: Es ist ein Versuch einer Splittergruppe für „den Islam“ sprechen zu wollen. Aber das tut sie natürlich nicht. Der Islam in Deutschland ist bunt.

In Ihrem gerade erschienenen Buch "JUNG, DEUTSCH, TALIBAN", analysieren Sie die militante, islamistische Jugendszene in Deutschland. Was hat diese jungen Menschen radikalisiert und warum wollen diese in einen Heiligen Krieg gegen den Westen ziehen, deren Kinder sie ja sind?

Man kann weniger denn je das eine Profil eines Dschihadisten aufstellen, aber es gibt wiederkehrende Muster. So hatten viele dieser jungen Männer extreme Brüche in ihrer Jugend: Der Vater ist  gestorben, es gab Drogen, Kleinkriminalität oder Gewalt in der Familie oder sie scheiterten in der Schule. Und auf der Suche nach Halt und Sinn gerieten sie dann an Salafisten mit ihren scheinbar einfachen Antworten. Es gibt aber auch noch die anderen Beispiele: Junge Männer und Frauen, die aus gutbürgerlichen Familien kamen, studierten, auf Ämtern arbeiteten oder Zahnärzte werden wollten, dann aber in die Radikalität abdrifteten und am Ende in den Dschihad zogen. Solche Biografien lassen einen recht ratlos zurück.

Wie könnte eine erfolgreiche Prävention aussehen und was könnte Deutschland von seinen europäischen Nachbarländern lernen?

Was wir in Deutschland brauchen sind unabhängige Beratungsstellen, an die sich besorgte Eltern oder Freunde wenden können. Das sollten aber nicht die Sicherheitsbehörden organisieren, sondern Vereine aus der Zivilgesellschaft, ähnlich wie beim  Rechtsextremismus, wo in den vergangenen Jahren Ausstiegsinitiativen wie „Exit“ entstanden sind.

Lernen könnte Deutschland auch von den Erfahrungen in Großbritannien. Dort gibt es Präventionsprogramme, in denen ehemals militante junge Menschen vom Abdriften in die Radikalität abhalten. Durch ihre street credibility haben sie eine große Glaubwürdigkeit.

Journalisten vom Tagesspiegel und der Frankfurter Rundschau wurden kürzlich auf Youtube beschimpft und bedroht, nachdem sie über Salafisten berichten wollten. Ist Ihnen ähnliches passiert bei Ihrer Recherche?

Einmal wurde ich in einem Internetvideo beschimpft, aber nicht in diesem Ausmaß. Ich habe mich dadurch bisher auch nicht bedroht gefühlt, genauso wenig wie durch die Beschimpfungen von rechtsextremer Seite, die ich wegen meiner Berichterstattung über Neonazis im Internet ab und an bekomme.

Wie finanziert sich die Szene, gib es ausländische Geldgeber zum Beispiel aus Saudi-Arabien?

Verfassungsschützer vermuten, dass Literatur und finanzielle Unterstützung für die Salafisten aus Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten kommen. Das mag sein. Auf der anderen Seite braucht die Szene aber auch gar nicht sonderlich viel Geld für ihre Aktivitäten. Wochenendseminare, Predigten im Internet, Infostände in den Fußgängerzonen: All das lässt sich auch ohne allzu große finanzielle Ressourcen auf die Beine stellen.

Von André Malraux stammt das Zitat, "Das 21. Jahrhundert wird religiös sein, oder es wird gar nicht sein!". Ist unsere säkulare, hedonistische Gesellschaft eher ein fruchtbarer Boden für die Etablierung einer solchen Szene oder eher ein Bollwerk?

Man kann den Salafismus sicher ein Stück weit als Gegenreaktion auf die moderne Welt mit all ihren Unsicherheiten sehen. Die Verlierer der Gesellschaft, die Gescheiterten und Suchenden, fängt die Bewegung auf und bietet ihnen mit ihrem simplen Weltbild den vermeintlichen Weg zur Wahrheit: Richtig-falsch, gut-böse, erlaubt-verboten. Hier ähnelt der Salafismus anderen fundamentalistischen Gruppen wie den Evangelikalen.

Handelt es sich bei Phänomenen wie dem Salafismus auch um ein Phänomen der Globalisierung?

Der Salafismus ist eine Bewegung der Widersprüche: Sie benutzt moderne Mittel, um ein zutiefst antimodernes Gesellschaftsbild zu propagieren. Sie wendet sich gegen die angeblich verdorbene Gesellschaft mit ihren Ausschweifungen und Exzessen, gegen Drogen, sexuelle Freizügigkeit und einer Globalisierung nach US-Vorbild. Doch um ihre Botschaft an die Leute zu bringen, setzt sie exzessiv auf das Internet. Dabei ähneln die Videoclips, die Salafisten über Youtube und Facebook verbreiten, in ihrer poppigen Ästhetik immer öfter der westlichen Kultur, die sie so verabscheuen.

Hat die wachsende Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa die Szene anwachsen lassen?

Es gibt da sicher Wechselwirkungen. Diskriminierungserfahrung und steigende Islamfeindlichkeit können dazu beitragen, dass Jugendliche sich radikalisieren. Gleichzeitig nutzen salafistische Prediger dies auch geschickt aus und hämmern ihnen ein, "der Westen" oder "die Ungläubigen" unterdrückten die Muslime generell und bekämpften den Islam weltweit. Wenn jemand die ultrafromme Bewegung kritisiert, heißt es schnell: Hetze!

Wolf Schmidt: Jung, deutsch, Taliban. ISBN: 978-3-86153-663-5. Mehr Infos unter: www.christoph-links-verlag.de

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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