Alle Welt redet über „Neue Medien“ – und meint: hochauflösendes Fernsehen, Computer-to-Plate-Verfahren, die Welten des Internet und der virtuellen Architekturen, grenzenlose Mobilkommunikation, künstliche Intelligenzen etc. Niemand spricht über die Fotografie – dabei ist sie das älteste, gleichsam das Initiationsmedium aller neuen medialen Technologien.
Aber, weil es sich vordergründig um eine Technik handelt und sich abermillionen Menschen dieser Technik bedienen (wer fotografiert nicht?), galt die Fotografie lange als „trivial“ – und Trivialitäten ist der Zugang in die hehren Welten der Ästhetik versperrt. Erst in den 20er Jahren – durch die Experimente des Bauhauses – und dann seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts hat das Foto Einzug gehalten in Museen, Galerien, Kunsthandel und Kataloge und Anerkennung als künstlerisches Medium gefunden.
Gute Fotos entlarven schlechte
Bedeutende Fotografen, die Klassiker Man Ray, Moholy-Nagy, Sander, Renger-Patzsch oder Zeitgenossen wie Arbus, und Goldin, deutsche Fotografen – ob Dokumentaristen, ob Künstler – wie Häusser, Ruff, Rakete, Marck belegen eindrucksvoll, was ambitionierte Fotografie vermag: verschwundene Realitäten festhalten (Bildgedächtnis der neuen Geschichte); Mittler sein, also Brücken bauen zwischen realer Welt und Wahrnehmung derselben; das Verschwinden von Wirklichkeit aufhalten; erzählen (wie ein Buch, ein Gemälde, ein Theaterstück); Unerfahrenes, nie Gesehenes erfahrbar und sichtbar machen respektive gänzlich ohne Realität eigene Welten erschaffen (im Fotogramm z.B.).
Kann man mit guten Fotos schlechte entlarven? Ja! So wie sich auf Dauer starke Ideen gegen schwache durchsetzen, so wie das bessere Konzept das schlechtere schlägt, so entlarven anspruchsvolle Bilder die mäßigen, lieblosen, schlechten oder verlogenen. Indem sie Maßstäbe setzen für Authentizität und Originalität, schärfen sie unseren Blick, beleben unsere Sinne, machen uns immun gegen manchen Bilderschrott der digitalen Medienwelt.
Björn Engholm war 1981/82 Bundesbildungsminister, 1988 bis 1993 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein und 1991 bis 1993 SPD-Parteivorsitzender.