Parteileben

Aufstieg im Sauseschritt

von Susanne Dohrn · 3. April 2012

Hast du Lust, auf ein Podium mit Heide Simonis zu gehen?“ „Ich, wieso? Was soll ich denn da sagen?“„Das, was Du uns im Restaurant auch immer erzählst.“ Serpil Midyatli sagte zu. So begann im Jahr 2000 ihr Einstieg in die Politik.

24 war sie damals und eine erfolgreiche Geschäftfrau, die seit ihrem 18. Lebensjahr das Restaurant ihrer Eltern in Kiel leitete und Feste für 400 Personen ausrichtete. Das Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium hatte sie dafür sausen lassen. Und eine Ausbildung? Als sie ihre beiden jüngeren Brüder so weit eingearbeitet hatte, dass sie das Restaurant übernehmen konnten, galt sie in den Augen potenzieller Ausbilder als überqualifiziert.

Was hat sie auf dem Podium erzählt? „Ich habe gesagt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man über Migranten redet, aber nicht mit ihnen. Dass eine Generation heranwächst, die sich das nicht gefallen lässt.“ Serpil Midyatli gehört zu dieser Generation. „Ich wollte mich immer für die Gemeinschaft einsetzen“, sagt sie. Sie engagierte sich in der Schülervertretung und war stellvertretende Schülersprecherin.  

Schon jetzt ein Medienstar

Der Abend mit der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin war also kein Zufall. Er endete damit, dass Serpil Midyatli in die SPD eintrat. In ihrem Ortsverein wurde sie zur Schriftführerin gewählt, danach in den Landesvorstand und dort zur Beisitzerin. Ein Aufstieg mit Siebenmeilenstiefeln, der 2009 über einen Listenplatz in den schleswig-holsteinischen Landtag führte.

Nun hat sie einen eigenen Wahlkreis. Eckernförde heißt er und liegt an der Ostsee in einer malerischen Hügellandschaft. Eine ländliche Gegend und wie sie sagt „ziemlich schwarz“. Den Wahlkreis im ersten Anlauf zu holen, werde wohl „ein bisschen schwierig“, gibt sie zu. „Ich bin ja nicht so bekannt.“ Aber
da untertreibt sie. Als erste Muslimin im schleswig-holsteinischen Landtag ist Serpil Midyatli ein Medienstar. Kürzlich filmte ein Fernsehteam sie in der Schule, in der sie jeden Montag vorliest.

Mit Platz 2 auf der Landesliste ist ihr ein Mandat im nächsten Landtag sicher. Davor kommen harte Wochen. „Wahlkampf ist Ausnahmezustand. Das weiß meine Familie“, sagt die 36-Jährige. Deren Unterstützung hat sie: Um die zwei Söhne, acht und zweieinhalb, kümmert sich ihr Mann. Eltern und Geschwister seien „total stolz“ und die Gäste des Restaurants gäben alle Zeitungsartikel über sie bei ihren Brüdern ab.

In der SPD-Landtagsfraktion ist sie für Integration, Kinder- und Jugendpolitik sowie Rechtsextremismus zuständig. Themen, die gut zusammenpassen, findet sie. „Junge Menschen brauchen eine Perspektive. Man muss ihnen das Gefühl geben, dazuzugehören.“ Dann sei die Gefahr geringer, dass sie sich extremen Gruppierungen anschließen.

Es stört sie, dass das Thema Migration eher negativ diskutiert wird. „Es gibt wahnsinnig viele Erfolgsgeschichten. In der Öffentlichkeit wird so getan, als ob das Ausnahmen sind. Ich sage dann immer: Ich bin keine Ausnahme. Ich bin die große Realität.“ Klar müssten die Probleme angesprochen werden, „aber oft erleben wir, dass die positiven Seiten komplett ausgeblendet werden.“

Drahtseilakte im Wahlkreis 

Viel Wert legt sie auf Unternehmensbesuche. „Das ist ein Bereich, den wir Sozialdemokraten manchmal etwas vernachlässigen.“ Sie sieht viele Berührungspunkte zwischen Unternehmern und SPD, z.B. deren gesellschaftliches Engagement. Wie recht sie hat, zeigt sich, als sie mit einer kleinen Delegation von SPD-Lokalpolitikern einen Windparkentwickler besucht. Der spendet ohne zu zögern für ein Kinderfest seiner Gemeinde. Aber er hat auch ein Anliegen: schnellere Entscheidungen für Windparkstandorte. Das kann die Abgeordnete, die selbst Unternehmerin war, gut verstehen. Sie betont aber, dass die Energiewende nur mit Beteiligung und Akzeptanz vor Ort möglich ist.

Ein Anliegen hat auch der Saatgutzüchter, den sie als nächstes besucht. Er möchte die Null-Grenzwerte für gentechnisch veränderte Saat – ein bisschen nur – gelockert wissen. Serpil Midyatli verhehlt nicht, dass sie gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt, verspricht aber, sich zu erkundigen, was es mit den Grenzwerten auf sich hat.

Noch ist es im Wahlkreis nicht selbstverständlich, eine Muslimin als Abgeordnete zu haben. Bei einem der Firmenbesuche werden Blätterteigröllchen mit Würstchen gereicht und kleine Quiches mit Schinken. Serpil Midyatli lehnt höflich ab: Sie sei Vegetarierin. 

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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