Inland

Parlament am Limit

von Carl-Friedrich Höck · 19. Januar 2012

Der SPD-Abgeordnete Swen Schulz klagt derzeit vor dem Verfassungsgericht. Er will ein Gesetz verhindern, das einem Sondergremium erlaubt, an Stelle des Bundestages über Euro-Rettungsgelder zu entscheiden. Warum, erklärte er am Mittwoch auf einer SPD-Veranstaltung in Berlin. 

Der mediale Aufruhr war groß im vergangenen Oktober: „Neun Hanseln sind nicht das Parlament“, schimpfte beispielsweise Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung. Der Grund: Der Bundestag hatte ein Gesetz durchgewunken, laut dem in dringenden Fällen künftig ein Gremium aus neun Abgeordneten über Milliarden-Hilfsmaßnahmen für den Euro entscheiden kann. Doch laut Verfassung ist dafür eigentlich der gesamte Bundestag zuständig. Das Parlament hatte sich also selbst entmachtet. 

„In der SPD-Fraktion haben wir darüber intensiv gestritten“, sagt der Abgeordnete Swen Schulz am Mittwochabend auf einer SPD-Veranstaltung im Berliner Kurt-Schumacher-Haus. Den etwa 70 Zuhörern erklärt er das Dilemma, vor dem er und seine Kollegen standen: Einerseits wollten sie den Euro-Rettungsschirm EFSF nicht blockieren. Damit dieser aber effektiv auf dem Markt eingreifen kann – z.B. mit dem Kauf von Staatsanleihen – müssen Entscheidungen schnell und manchmal auch geheim getroffen werden können. Genau für solche Fälle wurde das 9er-Gremium erfunden: Eine Art Mini-Ausgabe des Parlamentes, deren Mitglieder notfalls auch nachts angerufen werden können, um Anleihen-Käufe abzusegnen.  

Andererseits meint Schulz: „Die Beteiligung des Bundestages muss gesichert sein.“ Neun Abgeordnete seien zu wenig, um das Volk zu repräsentieren. Am Ende hat Schulz sich für eine ungewöhnliche Maßnahme entschieden: Er stimmte dem EFSF-Gesetz im Parlament zu, „weil wir es politisch brauchten“, zog aber anschließend mit seinem Kollegen Peter Danckert (auch SPD) dagegen vor das Verfassungsgericht. Das Gericht wird seine Entscheidung wohl erst in ein bis zwei Monaten fällen. Doch Schulz ist guter Dinge, dass es kein 9er-Gremium geben wird.

Das Parlament entscheidet nicht - wer dann?   

Wer aber stattdessen über die Verwendung der EFSF-Mittel entscheiden soll, weiß selbst Schulz nicht so recht. „Es muss Regeln für Eiliges und Vertrauliches geben“, sagt er und meint damit: Man kann nicht jedes Mal das ganze Parlament fragen. Also schlägt er „so etwas wie den Haushaltsausschuss“ vor. Der hat wenigstens 41 Mitglieder.  

Warum denn überhaupt der Bundestag über solche Fragen entscheiden müsse, fragt da ein Mann aus dem Publikum. Der Rettungsschirm sei doch ein europäisches Projekt, also müsste hierfür doch auch eine EU-Institution zuständig sein. Schulz erwidert: „Solange Europa nicht so demokratisch organisiert ist, dass da Parlamentarier entscheiden, muss der Bundestag einbezogen werden“.  

An dieser Stelle widerspricht ihm der Verfassungsrechtler Franz Meyer. Es sei nur eine „gefühlte Demokratie“, die der EU fehle, argumentiert er. Tatsächlich seien zum Beispiel Gesetzgebungsprozesse auf EU-Ebene oft transparenter geregelt als auf nationaler Ebene. Doch fehle es dem EU-Parlament an medialer Aufmerksamkeit.

 Mayer: EU-Parlament nicht mit Bundestag vergleichbar  

Dass das EU-Parlament die nationalen Parlamente ersetzen kann, glaubt Meyer trotzdem nicht. Es sei ein „Arbeitsparlament“, das sich auf nationale Parlamente stütze und mit diesen nicht zu vergleichen sei. Er verweist auf die komplizierten Regeln im Wahl- und Abstimmungssystem der EU. So vertrete ein Abgeordneter aus Luxemburg weniger Bürger als ein Abgeordneter aus Deutschland. Dies werde auf absehbare Zeit auch so bleiben, um die Ungleichgewichte zwischen den EU-Mitgliedsstaaten abzumildern. Zu einem Föderalstaat nach Art der Bundesrepublik werde die EU wahrscheinlich nicht.  

Zum Streit um das 9er-Gremium meint Mayer: „Es gibt Grenzen dessen, was ein Parlament leisten kann“. Nur neun Vertreter zu befragen, hält aber auch Mayer für zu wenig. Am Ende des Abends bleibt daher offen, wie es nun weitergehen soll mit der Eurokrise und der Demokratie. Vielleicht wird es die Situationen, in denen geheim und schnell entschieden werden muss, gar nicht geben. Das hofft jedenfalls Swen Schulz. Vielleicht überträgt das Verfassungsgericht diese Aufgabe auch an die Regierung. Das hält Mayer für möglich. Sicher ist nur: Der Bundestag wird solche Entscheidungen nicht treffen können.

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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