Dürfen Polizei und Verfassungsschutz ihre Daten austauschen und in einer gemeinsamen Datei zusammenfügen? Über diese Frage verhandelt am Dienstag der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe. Im Interview erklärt die ehemalige Verfassungsrichterin und Professorin Rosemarie Will, worum es geht.
Frau Will, welche Daten der Bürgerinnen und Bürger finden sich in der Antiterrordatei (ATD)?
Rosemarie Will: In dieser Datei werden sowohl die Grunddaten, als auch die erweiterten Grunddaten gespeichert, d.h. eigentlich alle Daten, mit denen Menschen identifiziert werden können. Das geht bis hin zu Fahr- und Flugerlaubnissen oder Daten über eine ehemalige oder zeitweise Anwesenheit an Orten, an denen sich auch Terroristen schon mal aufgehalten haben. Alle Nachrichtendienste und Polizeibehörden des Bundes und der Länder sind verpflichtet, ihre erhobenen Daten in der ATD zu speichern, wenn sie über Anhaltspunkte verfügen, es könnte sich um Terroristen, Kontaktpersonen oder Unterstützer handeln.
Ein pensionierter Richter hat gegen die sogenannte ATD Verfassungsbeschwerde eingelegt mit der Begründung, er werde hierdurch in seinen Grundrechten verletzt. Welche Grundrechte der Bürger werden seiner Meinung nach hiervon berührt?
Der Beschwerdeführer sieht sich vor allem in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Er rügt aber auch eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses und des Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung, weil aus Überwachungsmaßnahmen des Telefonverkehrs und aus Lauschangriffen in die Wohnung hinein Daten in die ATD gelangen können. Zudem rügt er eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz, weil die Erhebung, Speicherung und Verwendung der Daten aus der ATG geheim geschieht und seine Möglichkeiten, dagegen auf dem Rechtsweg vorzugehen, beschnitten sind.
Sehen Sie dies auch so?
Ja, man muss das ATDG grundsätzlich auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand stellen. Dabei muss fast jede Regelung aus dem ATDG überprüft werden.
Die ATD verstößt vor allem auch gegen das Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendienst, weil Polizeibehörden Zugriff auf die von den Nachrichtendiensten in die Datei eingestellten Daten haben und sie so an Informationen kommen, die sie selbst gar nicht erheben dürfen. Ist eine Zusammenführung der Daten damit nicht automatisch verfassungsrechtlich unzulässig?
Nicht automatisch, aber immer dann, wenn entgegen den eigenen gesetzlichen Befugnissen durch die ATD Daten erlangt und verwendet werden, wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Ob darüber hinaus auch das Trennungsgebot durch die ATD verletzt wird, ist eine der spannendsten Fragen in diesem Verfahren. Dazu muss das Verfassungsgericht dem Trennungsgebot erst einmal Verfassungsrang einräumen. Bisher hat es diese Frage in seinen Entscheidungen offen gelassen.
Seit dem Bekanntwerden der NSU-Morde befürworten auch Linke und Linksliberale einen vereinfachten Datenfluss von Verfassungsschutz und Polizei. Werden sich die Verfassungshüter davon beeindrucken lassen?
Das glaube ich nicht. Die Untersuchungen zum Versagen des Staates bei der Aufklärung und Ahndung der NSU Verbrechen zeigen, warum die Möglichkeiten des gesetzlich vorgesehenen Datenaustausches nicht funktioniert haben. Die Ursachen dafür werden mit einer Verbunddatei nicht beseitigt, sondern wirken fort. Sie liegen in strukturellen Rechtsstaatsdefiziten der Nachrichtendienste.
Und wie ist Ihre persönliche Meinung?
Verbunddateien, wie die ATD, können das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aushöhlen, deshalb bin ich für ihre strikte Begrenzung auf ein Maß, von dem nachgewiesen ist, dass wir ohne nicht auskommen.
Welche Folgen hätte es, wenn Karlsruhe zu dem Urteil gelangt, dass das Antiterrorgesetz tatsächlich verfassungswidrig ist?
Dann würden die bisherigen Übermittlungsvorschriften, wie sie in den Einzelgesetzen bisher geregelt sind, die Kanäle der Datenübermittlung allein regeln und wir müssten damit auskommen.
Rosemarie Will ist Professorin für Öffentliches Recht, Staatslehre und Rechtstheorie an der Berliner Humbold-Universität. Von 1993 bis 1995 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesverfassungsgericht und ab 1996 für zehn Jahre Verfassungsrichterin des Landes Brandenburg. Seit 2005 ist sie zudem Bundesvorsitzende der Humanistischen Union. In dieser Funktion wird sie am Dienstag am höchsten Deutschen Gericht Stellung zum Antiterrordateingesetz nehmen.
Zur Info:
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am 6. November 2012 über eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern (Antiterrordateigesetz) vom 22. Dezember 2006. Die ATD ist zugleich Vorbild der Rechtsextremismusdatei, die die Bundesregierung zur effektiveren Bekämpfung rechtsextremen Terrors einführen will.