International

Schlägt nun die Stunde der Hardliner?

von Jörg Hafkemeyer · 3. Februar 2014

Intensiv wurde auf der Münchener Sicherheitskonferenz diskutiert, wie der Konflikt in der Ukraine beendet werden kann. Doch am Ende stehen mehr Fragen als Antworten. Die Angst vor einem gewaltsamen Vorgehen der Regierungstruppen wächst.

Eines jedenfalls steht nach dem Abschluss der Münchener Sicherheitskonferenz fest: Die Krise in der Ukraine wird nun von allen ernst genommen. Entsprechend intensiv waren die Gespräche in der Bayerischen Landeshauptstadt. Entsprechend intensiv sind die diplomatischen Bemühungen für eine politische Lösung. Sichtbar ist die noch nicht, denn es müssen auf dem Weg dahin einige Fragen beantwortet werden: Wer hat das Sagen im Land? Welche Rolle spielt die Armee? Steht die Opposition von einer Spaltung? Was wird aus den Vermissten und Verhafteten und, was muss politisch geschehen?

Über das politische Machtzentrum wird in Kiew viel geredet, spekuliert. Vor allem deshalb, weil es in diesen Tagen eben nicht genau auszumachen ist. Die Demonstranten hoffen, dass mehr und mehr Abgeordnete im Parlament für Neuwahlen und den Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch sind. Die Rada, das Parlament, tagt am Dienstag. Es gibt allerdings starke Kräfte in der Partei der Regionen wie in der Regierung, die ein Machtvakuum verhindern und gegen die Protestierenden hart durchgreifen wollen. Zu ihnen gehört der sehr umstrittene Innenminister, der trotz aller Rücktrittsforderungen noch immer im Amt ist. Zu ihnen gehört auch der Gouverneur der an der russischen Grenze gelegenen Stadt Charkow, Michail Dobkin. Er wird mit den Worten zitiert, „die ukrainische Krise ist ein schlechtes Stück, dessen Drehbuch jenseits der Grenze geschrieben wird“. Dobkin hat eine „Ukrainische Front“ gegründet. Sie soll die Demonstranten sowie die Opposition auch mit Gewalt bekämpfen.

Hardliner in der Armeeführung

Zu den Hardlinern gehören auch die Armee, deren Führung ebenfalls ein hartes Durchgreifen gefordert hat, und der Innenminister, der die Polizei aufrüsten will. Die ukrainischen Streitkräfte gibt es seit 1992. Sie umfassen 191 000 Soldaten und etwa eine Million Reservisten. Das Innenministerium verfügt über 40 000 Mann umfassende eigene militärische Einheiten sowie den 45 000 Soldaten starken Grenzschutz. Armee und Polizei sind stark unterfinanziert. Die Kasernenstruktur ist schlecht und die Versorgungslage der über das Land nach sowjetischen Vorbild verstreuten Verbände häufig ebenso.

Hinzu kommt: die Truppen des Innenministeriums haben keine Wehrpflichtigen. Im Gegensatz zur Armee, die erst ab Ende dieses Jahres in eine Berufsarmee umorganisiert und deutlich verkleinert werden soll. Es ist sehr fraglich, ob sich die jungen Wehrpflichtigen gegen die Opposition einsetzen lassen würden.

Die Opposition ist nicht sehr einheitlich und geschlossen. Der sie unterstützende Oligarch Petro Poroschenko weiß das und hat es deutlich formuliert. Der Maidan sei das Herz der Ukraine und nicht die Hruschtschewskowo Straße. In Letzterer stehen sich seit Tagen unversöhnlich Einheiten des Innenministeriums und die gewaltbereiten Demonstranten gegenüber. Auch Vitali Klitschko ruft immer wieder dazu auf, sich nicht spalten zulassen.

Es wird gefoltert, verschleppt, verhaftet

Eine solche Spaltung zu verhindern, scheint sehr mühsam, weil sich der Apparat bisher nicht bewegt und weil trotz aller gegenteiligen Versicherungen der Staat mehr und mehr Gewalt einsetzt. Es wird gefoltert, verschleppt, verhaftet. Mehr als 30 Demonstranten sind verschwunden, mehr als 300 verhaftet oder unter Hausarrest. Einer von ihnen war Dimitri Bulatow, Anführer auf dem Maidan. Er wurde entführt, gefoltert, gedemütigt und überlebte, grässlich zugerichtet, die Qualen. Außenminister Leonid Koschara bestreitet jede Verantwortung. Sein deutscher Kollege Frank Walter Steinmeier setzte sich für Bulatow ein. Am Wochenende durfte er nach Riga ausreisen. Ein erster, kleiner Erfolg.

Ein etwas größerer Erfolg soll durch den Einsatz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der OSZE, erreicht werden. Sie soll unter dem derzeitigen Schweizer Vorsitz die Gespräche zwischen Regierung und Opposition am Laufen halten und vermitteln. Ziel ist es, die von Präsident Viktor Janukowitsch durchgesetzte Verfassung aus dem Jahr 2010 außer Kraft zu setzen. Am Liebsten würde die OSZE die alte Verfassung von 2004 reinstallieren. Die hatte dem Präsidenten weniger, Regierung und dem Parlament deutlich mehr Rechte eingeräumt. Ob das gelingen wird, ist nicht gewiss. OSZE und EU versuchen, ein politisches und wirtschaftliches Desaster zu verhindern. Es müsse verhindert werden, betonte Bundesaußenminister Steinmeier.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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