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Yasmin Fahimi: „Chancengerechtigkeit ist Kern unserer Politik“

Am vergangenen Wochenende wurde sie mit einem überragenden Ergebnis zur neuen SPD-Generalsekretärin gewählt. Im Interview sagt Yasmin Fahimi, wie sie die Partei in der großen Koalition und für die Bundestagswahl 2017 positionieren will.
von Vera Rosigkeit · 2. Februar 2014

Frau Fahimi, wann haben Sie erfahren, dass Sie Generalsekretärin werden sollen?

Kurz vor Weihnachten. Der Anruf kam überraschend für mich. Am Frühstückstisch wird man das nicht jeden Tag gefragt.

Was war Ihr erster Gedanke?

Ich habe zuerst gedacht: Ist das wirklich ernst gemeint? Der zweite Gedanke war: Das wäre eine tolle Aufgabe. Der dritte: Überleg es dir in Ruhe.

Sie sind mit 17 in die SPD eingetreten. Was waren Ihre Gründe?

Die Friedensbewegung hat mich geprägt und motiviert, in die SPD einzutreten. Bei den Jusos habe ich das Thema internationale Solidarität kennen gelernt. Und ich war bei der großen Friedensdemo in Bonn mit dabei. Das war natürlich sehr beeindruckend.

Sie haben gesagt, es sei wichtig, einer Partei treu zu bleiben. Warum?

Es lohnt sich, geduldig in Beziehungen zu investieren. Nur wer mit viel Biss an den Dingen bleibt, kann auch etwas verändern. Man muss aber auch verstehen, dass Kompromisse notwendig sind.

Ihr Vater war Perser, Ihre Mutter ­Deutsche. Wie hat Sie das geprägt?

Mein Vater ist von seiner Familie zum Studieren nach Deutschland geschickt worden. Er ist nie Migrant gewesen. Als Auslandsstudent in Deutschland hat er meine Mutter kennengelernt. Meine Mutter ist dann später in den Iran emigriert, wo mein Bruder geboren ist. Nach dem frühen Tod meines Vaters ist meine Mutter mit meinem Bruder – und mit mir schwanger – zurück nach Deutschland gegangen. Ich bin also in Deutschland geboren und aufgewachsen. Meine Familie väterlicherseits lebt inzwischen seit über 30 Jahren in den USA, sie sind auch US-Staatsbürger. Meine Familie mütterlicherseits hat die Flucht aus Ostpreußen zu Kriegsende sehr geprägt. Insgesamt lehrt mich meine Familiengeschichte: Das Leben ist bunt, du musst dich durchbeißen, und halt immer die Augen offen.

Haben Sie Erfahrungen mit ­Fremdenfeindlichkeit gemacht?

Ich habe erst relativ spät erlebt, dass ich als Ausländerin betrachtet werde. Erst als man mich als junge Frau auf meinen Nachnamen ansprach.

Ist das politisch ein Thema für Sie?

Für mich ist die SPD die Partei, die für eine offene und inklusive Gesellschaft kämpft. Das heißt, man geht vorurteilsfrei auf Menschen zu. Wir wollen, dass alle Menschen die Chance haben, ihre ­Lebensträume zu verwirklichen. Die Gesellschaft muss jedem Chancen­gerechtigkeit bieten. Das ist für mich Kern sozialdemokratischer Politik. Insofern ist Integrationspolitik für mich ein wichtiges Querschnittsthema, wie ­Frauenpolitik im Übrigen auch.

Für Sie ist die Politik vor Ort sehr ­konkret. Was heißt das für Ihre Arbeit als Generalsekretärin?

Ortsvereine und Unterbezirke sind für mich Orte, wo wir mit den Menschen ins Gespräch kommen und wo wir kontinuierlich Beziehungen pflegen können. Wir dürfen uns nicht nur mit uns selbst ­beschäftigen: Ob der Schützenverein, die Elterninitiative oder Arbeitnehmergruppe, diese Kontakte sind für uns wichtig, sie sind eine Bereicherung sozialdemokratischer Politik.

Was ist Ihre erste und wichtigste ­Aufgabe?

Der Europawahlkampf ist von größter Bedeutung. Zum ersten Mal werden die Parteien einen Europawahlkampf mit einem echten Spitzenkandidaten führen. Wir sind stolz darauf, dass Martin Schulz nicht nur deutscher Spitzenkandidat ist, sondern auch Spitzenkandidat aller so­zialdemokratischen Parteien in Europa. Es ist ein großes Pfund, welch großes ­Ansehen Martin Schulz in ganz Europa genießt. Das werden wir nutzen. Nach meinem Verständnis ist Europa vor allem auch eine sozialdemokratische Idee, die vor dem Hintergrund der Diskussionen um Sparzwänge droht unterzugehen.

Wie kann die SPD das verhindern?

Unser Ziel muss es sein, die Menschen wieder für die europäische Idee zu begeistern. Für ein soziales Europa, für ein Europa der Wirtschaftskraft und der Regionen. Das geht nur, indem man ­Vertrauen in Europa und vor allem seine Institutionen wiederherstellt. Denn gerade hier besteht Reformbedarf. Unsere Botschaft heißt dabei ganz klar: Ein ­anderes, ein besseres Europa ist möglich!

Sie sind Gewerkschafterin. Wird das eine Rolle spielen, das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften zu verbessern?

Ich bin froh darüber, dass sich die Gespräche zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie wieder vertieft haben. Diese Brücke will ich ausbauen. Ich glaube, dass beide Bewegungen davon profitieren können, wenn sie verstehen, dass sie gemeinsam sehr viel mehr erreichen können.

Die SPD regiert zurzeit mit der Union. Macht das die Aufgabe als General­sekretärin schwieriger?

Nein. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen wichtige sozialdemokratische Ziele durchgesetzt, die es ohne diese große Koalition in den nächsten vier Jahren nicht geben würde. Im Übrigen werde ich als Generalsekretärin auch in einer großen Koalition deutlich darauf hinweisen, was wir mit der Union nicht machen können. Es wird immer die Möglichkeit geben zu sagen, wo die Grenze dessen ist, was in dieser Konstellation möglich ist, und wo wir mehr wollen. Dafür werden wir 2017 neu werben. Darauf können wir uns jetzt schon vorbereiten.

Sie sind die zweite Generalsekretärin in Folge. Ist das Ziel der Gleichstellung in der SPD erreicht?

Gleichberechtigung muss ein Thema bleiben. Aber wir haben in den vergangenen Monaten die Sozialdemokratie deutlich weiblicher aufgestellt. Das ist eine Vitaminspritze, die wir gut gebrauchen können.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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