Als Baby von der Mutter zur Adoption frei gegeben, während der NS-Zeit Schauspielerin in Goebbels Propagandafilmen und in der Nachkriegszeit als „Leila Negra“ die Schlagersängerin mit dem Teddy im Arm – Marie Nejar hatte ein bewegtes Leben. Trotzdem hat die Afrodeutsche nie ihre positive Einstellung verloren.
„Frauen in Deutschland sind nicht ausschließlich weiß, sondern vielfältig. Auch schwarz. Und das schon seit ganz vielen Jahren“, betont Manuela Bauche, Programmreferentin des August-Bebel-Instituts, als sie die Gäste zum Gespräch mit Marie Nejar begrüßt.
Marie Nejar ist ein Beweis dafür, dass Afrodeutsche bereits seit vielen Jahrzehnten Teil der deutschen Gesellschaft sind. Sie wurde 1930 in Mühlheim an der Ruhr als Tochter einer Deutschen und eines Ghanaers geboren. Nejars Mutter versuchte, die Geburt vor ihrer Familie zu verheimlichen und gab das Mädchen kurz nach dessen Geburt zur Adoption frei.
Als Nejars Großmutter davon erfuhr, übernahm sie die Vormundschaft und holte das Mädchen zu sich nach Hamburg. Marie Nejar wuchs behütet auf, bekam jedoch vor allem durch das Verhalten der Erwachsenen zu spüren, dass sie anders war als die anderen. Sie schilderte ein einschneidendes Erlebnis, als „Leute, die auf mich zeigten und sagten: ,Schau dir mal das schmutzige Kind an.‘“ Nach diesem Erlebnis wusch sich das Mädchen stundenlang.
Im Film mit Heinz Rühmann
Der Machtergreifung Hitlers und dem Nazikult stand die Großmutter – auch in der Öffentlichkeit – ablehnend gegenüber. Umso größer war ihr Ärger darüber, dass sich die eigene Enkeltochter von der Euphorie anstecken ließ und „die Nazilieder voller Freude“ sang, wie Marie Nejar zurückblickend berichtet.
Als Goebbels für seine Propagandafilme schwarze Kinder suchte, machte Marie erste Erfahrungen beim Film. Sie spielte dabei an der Seite von Hans Albers und Heinz Rühman die immer Dienende und Exotische. Die Propagandastrukturen konnte das junge Mädchen noch nicht durchschauen und freute sich über zwei Wochen Schulferien und Goebbels Unterschrift auf einem offiziellen Schreiben, von dem sie stolz ihren Klassenkameraden erzählen konnte.
Nejar spürte den Rassismus, „kam aber irgendwann gut damit zurecht. Das musste ich auch. es gab ja auch viele Leute, die mich mochten und ich war sehr offen.“ Unter diesen Leuten hatte Marie Nejar auch Schutzengel, mit deren Hilfe sie die Jahre des Nationalsozialismus überleben konnte. Lehrer beispielsweise gaben ihrer Großmutter Bescheid, wenn es in der Schule staatliche Kontrollen gab, damit sie ihre Enkeltochter zuhause behielt.
Das NS-Regime machte es Nejar durch die Nürnberger Gesetze unmöglich, weiterhin die Schule zu besuchen oder einen Beruf zu erlernen. Im Alter von 14 Jahren wurde Marie Nejar zur Zwangsarbeit in einer Keksfabrik eingezogen. Aber auch diese Erfahrungen, die Verbote, nahmen ihr die positive Lebenseinstellung nicht. „Ich war immer ein Typ, der das Beste aus allem gemacht hat“, erzählt sie.
Gesangskarriere nach dem Krieg
In den Nachkriegsjahren wurde Marie Nejar zufällig als Schlagersängerin entdeckt. Die junge Frau war in Timmendorferstrand als Zigarettenverkäuferin unterwegs, als Musiker sie baten, als Test in ein Mikrofon zu sprechen.
Als „Leila Negra“ wurde sie unter Vertrag genommen und erlangte in den 1950er Jahren Berühmtheit. Marie Nejar war in dieser Zeit bereits Ende 20 und doch wurde sie als Kinderstar vermarktet, dessen Markenzeichen ein großer Teddybär war, den sie in ihren Armen hielt, während sie Kinderlieder sang.
Nach einigen Schlager-Erfolgen – einer der größten Erfolge war das Lied „Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“ mit Peter Alexander – beendete Marie Nejar ihre Schlagerkarriere. So schaffte sie den Absprung von der Vermarktung als „exotisches“ Kind und dem Manager, der sie in der Rolle als Mädchen klein halten wollte. Im Alter von 28 Jahren begann Nejar eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete in diesem Bereich bis zu ihrer Rente.
Trotz ihrer für viele Menschen aufwühlenden und besonderen Lebensgeschichte blieb Marie Nejar bis heute bodenständig und ein merkbar positiver Mensch. „Es war ja mein Leben und doch nichts Besonderes. Man gewöhnt sich daran.“
Info: Marie Nejars Autobiografie „Mach nicht so traurige Augen, weil du ein Negerlein bist: meine Jugend im Dritten Reich“ ist zurzeit leider vergriffen. Sie kann jedoch antiquarisch erworben werden.