Kultur

Der Jude, der der Freund eines Antisemiten war

von Matthias Dohmen · 7. Mai 2014

Die schwedische Journalistin Elisabeth Åsbrink legt mit „Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume“ die erzählende Dokumentation über eine jüdische Familie aus Wien vor, die ihren Sohn 1939 nach Schweden schicken kann – wo er sich mit einem Antisemiten anfreundet.

In dem rund 400 Seiten starken Buch verknüpft die Autorin Auszüge aus Hunderten von Briefen, die Elise und Josef Ullmann an ihren Sohn Otto geschrieben haben – erst aus Wien, später aus dem Konzentrationslager Theresienstadt – mit Fakten aus dem Leben der Familie und Informationen über die Zeit zu einem Panorama, das der Rezensent verschlungen hat. Die Ullmanns waren eine ganze normale Familie in einer ganz normalen Hauptstadt eines ganz normalen Landes – bis sich das nationalsozialistische Österreich an der erbarmungslosen und Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden beteiligte.

„Möglichst Judenchristen“

Drei Tage nach dem „Anschluss“ Österreichs verliert Josef Ullmann seinen mit Renommee und gutem Einkommen verbundenen Job als Sportjournalist bei einer Wiener Tageszeitung. Sein Sohn Otto ist zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt. Erfolglos bemüht sich die Familie um ein Visum für die USA. Die Eltern sind froh, als sie Otto mit anderen Kindern nach Skandinavien schicken können. Die schwedische „Israelmission“ wollte „möglichst Judenchristen oder Christen, keine Arier“, so der Chef der Mission, auf den richtigen Weg zurückführen – schließlich hätten die Juden Jesus ans Kreuz geschlagen. Mit Antifaschismus hatten die Vorgänge wenig bis nichts zu tun.

Die hundert auserwählten Kinder durchlaufen unterschiedliche Karrieren in Schweden: Die Mädchen werden gern als billige Au-pairs genommen, bei den Jungen ist es schwieriger. Otto kommt zunächst in ein Kinderheim, arbeitet später in einer Gärtnerei, bei einem Bäcker und kommt am Ende auf den Hof der Familie Kamprad, die nachhaltig mit der Svensk socialistisk samling (SSS), der schwedischen Nazipartei, vernetzt ist.

Dort freundet sich der mittlerweile 18-Jährige mit dem gleichaltrigen Ingvar Kamprad an – der spätere Ikea-Gründer ist ein schlimmer Antisemit, Antibolschewist und Nazi. Fast zehn Jahre lang sind Otto Ullmann und Kamprad dennoch Freunde. Sie ziehen gemeinsam über die Dörfer, kehren in Kneipen ein und haben schließlich bei der Ikea-Gründung kooperiert. Doch irgendwann bricht die Verbindung ab. Erst Ende der 1990er-Jahre kommt es wieder zu einem telefonischen Kontakt, bei dem sich Kamprad für sein nazistisches Engagement entschuldigt haben will, das damals in vollem Ausmaß bekannt wurde. Otto soll sich dagegen sehr verächtlich über den Ikea-Eigner geäußert haben.

„Wir wollen dich eines Tages wieder in die Arme schließen“

Otto ist fleißig und kommunikativ, bringt es 1942 zum Torwart der dörflichen Fußballmannschaft. Seine Mutter schreibt ihm: „Du bist unser größtes Glück, und wir hoffen, Dich eines Tages vielleicht wieder in unsere Arme schließen zu können ... Wir freuen uns, dass du so beliebt bist, und es berührt uns, dass dich alle gern haben. Aber auch hier lieben wir dich.“

Ottos Eltern haben ihren Sohn nie wiedergesehen. Wie viele ihrer Verwandten haben sie die Shoah nicht überlebt. Otto wird später die schwedische Staatsangehörigkeit annehmen und eine Familie gründen. Er arbeitet als Journalist, bis er eine eigene Firma in der Werbebranche gründet. Später betreibt er ein Restaurant. Er stirbt 2005. Die Briefe übergibt seine Tochter kurz danach der Journalistin Elisabeth Åsbrink, der wir eine Chronik verdanken, die ein ergreifendes Bild von Elternliebe entwirft und eine bittere Bilanz der schwedischen Gesellschaft der 1940er-Jahre zieht.

Elisabeth Åsbrink, Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume. Ein jüdisches Schicksal in Schweden. Verlag Arche, Zürich/Hamburg 2014, 413 Seiten, 24,95 Euro. ISBN 978-3-7160-2710-3

 

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

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