Der Bürgerkrieg in Syrien hat eine der größten Flüchtlingskatastrophen der letzten Jahrzehnte ausgelöst. Wie kann man syrischen Flüchtlingen die Aufnahme in Deutschland erleichtern? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Diskussion der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung.
Wenn sie ihr Medizinstudium hätte antreten dürfen, hätte Maja Alkhechem vermutlich nie auf einem Boot übers Mittelmeer reisen und ihr Leben und das ihrer Familie riskieren müssen. Doch weil sie in Deutschland nicht studieren durfte, kehrte sie in ihr Heimatland Syrien zurück, heiratete dort, bekam zwei Kinder. Dann kam der Bürgerkrieg.
Es sind emotionale Fragen, die die in Deutschland lebenden Angehörigen von Syrern am Mittwochnachmittag in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin stellen: "Wie viel ist ein Menschenleben wert? Wie entscheidet man welche Schwestern, welchen Onkel man in Sicherheit bringt, wenn man nur genügend Geld hat, um für einen zu bürgern?" Obwohl man die Verzweiflung und das Unverständnis der drei gebürtigen Syrer spürt, wenn sie von ihren Versuchen erzählen, Familienangehörige aus ihrem Heimatland nach Deutschland zu holen, ist die Diskussion der gemeinsamen Konferenz des Gesprächkreises Migration und Integration der FES und des Fördervereins Pro Asyl e.V. nicht nur eine emotionale, sondern auch eine konstruktive. Das liegt vor allem daran, dass es ihr gelingt, nicht in eine reine Betroffenheitsdiskussion abzugleiten.
Ein Exodus biblischen Ausmaßes
6,5 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht, weitere ca. 2,7 Millionen sind bereits aus ihrem Land geflohen. "Alle 60 Sekunden verlässt eine Familie in Syrien ihr zuhause", rechnet Andreas Lipsch, Vorsitzender von Pro Asyl, vor. Von "einem Exodus biblischen Ausmaßes" und "der schlimmsten humanitären Krise der Gegenwart", spricht der Vertreter des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Hans ten Feld und das trotz weiterer großer Krisen wie dem drohenden Genozid in der Zentralafrikanischen Republik und der Hungerkatastrophe im Südsudan.
Der seit über drei Jahren andauernde Bürgerkrieg hat Syrien zerstört und vielen Einwohnern bleibt keine andere Wahl als die Flucht, ob vor dem Assad-Regime und seinen Fassbomben, oder vor den Kämpfen der Rebellen. Auch Maja Alkhechem ist vor eineinhalb Jahren mit ihren Kindern und ihrem Mann aus Damaskus geflohen. "Es ging nicht mehr", erzählt sie. Zunächst reiste die Familie, wie viele andere Syrer, ins Nachbarland Libanon. Im tief gespaltenen Staat, der seinen fünfzehn Jahre andauernden Bürgerkrieg noch nicht überwunden hat, ist mittlerweile fast jeder vierte Einwohner syrischer Herkunft. Eine Millionen Syrer, mehr als in jedem anderen Land, finden hier Zuflucht.
Zuviel für das Land: "Wir sehen, dass der Zustand für die Menschen im Libanon und auch in der Türkei auf Dauer nicht so bleiben kann", sagt auch Christoph Strässer (SPD), Beauftragter der Bundesregierung Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe. "Wir haben die Möglichkeit mehr zu tun, unsere Aufnahmekapazitäten müssen ausgeschöpft werden. Das ist bisher nicht der Fall."
Bürokratie am Limit
Bislang hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, über zwei Bundesprogramme 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Durch das erste seien 5.000 Menschen in Deutschland angekommen, durch das zweite erst 500 Menschen, sagt Strässer. Es gilt bürokratische Hürden zu überwinden: Wer darf kommen? Nach welchen Kriterien wählt man aus? "Wir arbeiten in der Beiruter Botschaft schon im Zweischicht-Betrieb und am Wochenende", erklärt Christian Klos, Experte für Ausländerrecht im Bundesinnerministerium.
So schreiben die Aufnahmeprogramme der Bundesländer vor, dass in Deutschland lebende Angehörige für ihre Verwandten ersten und zweiten Grades bürgen müssen, damit diese einreisen können. Die Verpflichtungen zur Übernahme von Krankenkassenbeiträgen, Unterkunft und Lebensunterhalt für eine dreiköpfige Familie liegen bei etwa 3000 Euro. Für viele ist das nicht zu leisten.
"Es gibt Bundesländer, die sich vorbildlich engagieren und welche, die kaum unterstützen", sagt Rüdiger Veit. Der stellvertretende Sprecher der AG Inneres der SPD-Bundestagsfraktion zeigte sich enttäuscht, dass es angesichts der unvorstellbaren Katastrophe zu keinem gemeinsamen Antrag aller Bundestagsfraktionen komme, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. "Gerade bin ich leider nicht in der Lage zu verkünden, dass wir mehr aufnehmen."
Für Maja Alkhechems Weg nach Deutschland waren weder der Bund noch die Länder zuständig. Sie ist zwar in Essen aufgewachsen und hat dort ihr Abitur gemacht: "Eigentlich ist Deutschland meine zweite Heimat, meine Eltern sind hier, meine Brüder", aber da sie mit ihrer Familie aus dem Libanon weiter nach Ägypten geflohen war, kam für sie das deutsche Aufnahmeprogramm nicht in Frage. Deshalb entschied sie sich für die illegale Einreise mit einem Flüchtlingsboot von Ägypten nach Italien über das Mittelmeer. "Ich hatte die Wahl: Entweder ich kehre zurück nach Syrien und sterbe dort, oder ich lebe mit den Jungs in Ägypten auf der Straße, oder ich wage den Weg, komme nach Deutschland und habe eine Chance."
Sie hat es geschafft in Deutschland Asyl zu erhalten. Aber die Angst um ihre Familie ist noch immer nicht ausgestanden.