Inland

Verkürzte Debatte

von Yvonne Holl · 6. Juni 2014

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzins auf ein neues Rekordtief gesenkt, zudem verlangt sie Strafzinsen von Banken, die bei ihr Geld lagern wollen. Ein richtiger Versuch, um Deflation zu vermeiden, meint Volkswirt Sebastian Dullien im Interview. 

Herr Dullien, lohnt sich Sparen heute überhaupt noch?

Ja, denn man spart nicht nur wegen der Zinsen sondern auch, damit man die Ersparnisse später zur Verfügung hat. Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Es gab auch früher schon Zeiten, zu denen die Zinsen nach Berücksichtigung der Inflation nicht besonders hoch waren, die 50er und 60er Jahre, aber auch die Jahre vor der Krise. So groß ist der Unterschied nicht, ob Sie für 100 Euro Ersparnisse pro Jahr 50 Cent oder 1,50 Euro bekommen.

Mit welchen Auswirkungen der aktuellen EZB-Zinsentscheidungen für Otto-Normalverbraucher rechnen Sie?

Als Sparer bekommt man keine hohen Zinsen. Es ist auch nicht unvorstellbar, dass, wenn die EZB den Leitzins und die Einlagezinsen weiter senkt, die Banken irgendwann eine kleine Gebühr für Tagesgeldkonten erheben. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Geldinstitute ihre Angebote reduzieren, beispielsweise kostenlose Girokonten.

Ist damit schnell zurechnen?

Wohl eher nicht, denn es gibt doch einen starken Wettbewerb unter den Banken.

Sie wirken gelassener als viele Beobachter.

Meiner Ansicht nach wird in Deutschland eine verkürzte Debatte geführt. Ja, die Sparzinsen sind niedrig. Aber deutsche Haushalte haben nicht nur Spareinlagen, sie haben auch Hauskredite und Automobilkredite. Und da profitieren sie. Genauso bei der Hypothekenfinanzierung.

Sie sind also nicht beunruhigt?

Überhaupt nicht.

Wie auf dem so genannten Strafzins herumgeritten wird, ist eine sehr deutsche Debatte. In anderen Ländern wird das auch in der Presse nicht so bewertet.

Die EZB probiert aus, was bei den Dänen erfolgreich war. Die haben per Zinssenkung die Krone geschwächt. Ein schwächerer Euro würde auch dem Euro-Raum helfen. Außerdem sollen die Banken dazu gebracht werden, ihr geparktes Geld zu verleihen. Wenn das nicht klappen sollte, wird die EZB ihren Kurs ändern, ansonsten könnte sie ihn noch weiter treiben.

Verbraucher sorgen sich insbesondere um ihre Lebensversicherungen.

Die Rendite der Lebensversicherungen hängt nicht direkt am EZB-Zins. Viel wichtiger ist hier, dass die langfristigen Zinsen irgendwann wieder steigen. Und das kann nur passieren, wenn sich die Wirtschaft erholt. Wie wir in Japan gesehen haben, führt eine Deflation zu dauerhaft sehr niedrigen Zinsen. In diesem Sinne handelt die EZB völlig richtig, wenn sie alles versucht, um eine Deflation zu vermeiden. Am Ende ist das auch im Sinne der Besitzer von Lebensversicherungen.

Manche Medien rufen schon das Ende des Kapitalismus in der uns bekannten Form aus.

Ich sehe nicht, warum das das Ende des Kapitalismus sein soll. Banken müssen immer noch dafür zahlen, wenn sie Geld von der EZB ausleihen, wenn auch nicht viel. Und was den „Strafzins“ angeht: Es ist doch nicht ungewöhnlich, dass man dafür zahlen muss, wenn jemand auf das eigene Geld aufpasst, da fallen Kosten für Tresore, Bewachung, etc. an.

Außerdem: Die Situation wird nicht auf Dauer so bleiben. Anderswo wird die Entwicklung nicht so aufgeregt betrachtet. 

Sebastian Dullien ist Volkswirt und Journalist. Er lehrt als Professor Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

 

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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