Was zählen die Ideale von einst in Zeiten politischer Konfusion? In ihrem Dokumentarfilm „What is left?“ flanieren Gustav Hofer und Luca Ragazzi durch die Irrungen und Wirrungen der Linken in Italien.
Die Krise Italiens ist auch eine Krise der Linken. Das sehen nicht nur jene Anhänger der Demokratischen Partei so, die im Frühjahr 2013 auf eine breite Mehrheit für ein Mitte-Links-Bündnis gehofft hatten und stattdessen in einer Koalition mit der Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“ landeten. Schon wieder regte sich in dem Land, dessen gebildete Jugend ins Ausland strömt, das Gefühl, es bewegt sich rein gar nichts.
Die komplizierte Regierungsbildung hing auch mit dem überragenden Wahlerfolg der Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo zusammen, die sich jeder Zusammenarbeit verweigerte. Zwar kam der Partito Democratico bei der Europawahl auf 40,81 Prozent, das waren rund 15 Prozent mehr als bei jener Parlamentswahl. Doch ist die verfahrene Lage der Linken, die vor allem auf einem schwammigen politischen Angebot beruht, nicht viel zu tiefgreifend, um von einem guten Wahlergebnis vergessen gemacht zu werden? Was bedeutet es heutzutage überhaupt, links zu sein, wenn alles in die Mitte strebt? Eine Frage, die sich nicht nur in Italien stellt!
Unter der doppeldeutigen Überschrift „What is left?“ gehen die italienischen Filmemacher auch der Frage nach, was vom linken Geist geblieben ist. Ähnlich wie in ihrem Vorgängerwerk „Italy – Love it or leave it“, einer Spurensuche zur Wirtschafts- und Finanzkrise, agieren die Rechercheure dabei auch als Akteure, die sich über das Wesen einer politischen Idee, der beide auf unterschiedliche Art anhängen, klar werden wollen.
Erfahrung statt Lenin
Ragazzi übernimmt dabei den Part des Suchenden, der die Traditionen seiner kommunistischen Familie verinnerlicht hat und im Tagesgeschäft der stärksten Partei Italiens eine klare ideologische Orientierung vermisst. Hofer wiederum erscheint als linker Pragmatiker – manch einer würde wohl von einem Salonlinken sprechen – , der sich lieber auf seinen breiten Erfahrungsschatz als auf Lenin oder Marx beruft.
Nicht immer ist in diesem Rollenspiel die Grenze zwischen inszenierter Überspitzung und Realität klar zu erkennen. Andererseits ist die autobiografische Note dieser lakonischen und selbstironischen Erzählung überdeutlich. Hofer und Ragazzi befassen sich anhand des eigenen Erlebens mit der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass dem Partito Democratico, der vor wenigen Jahren aus der Nachfolgeorganisation der einst so strahlenden Kommunistischen Partei und dem christdemokratischen Margherita-Bündnis hervorgegangen ist, kaum noch Reformen oder gar Visionen zugetraut werden.
Dafür schlagen sie einen Bogen von der Kür des Spitzenkandidaten für die Parlamentswahl im Dezember 2012 und die zermürbende Bildung der „Regierung der weitgehenden Verständigung“ unter Enrico Letta bis hin zur Wiederwahl Giorgio Napoletanos zum Staatspräsidenten.
Bei Ortsvereinssitzungen erleben sie, wie junge Parteimitglieder ein Ende des Taktierens im Sinne möglichst vieler Plätze am Kabinettstisch und stattdessen einen neuen Aufbruch fordern, wenn die Partei wieder mehr Menschen – sprich: Wähler – um sich scharen will. Und wie skeptisch sie den früheren Minister Fabrizio Barca beäugen, der mit einem 50-Seiten-Manifest genau das versucht. Am Rande von Demonstrationen vor den Kulissen von Roms historischem Zentrum erfahren sie, warum dem PD der Kontakt zu Intellektuellen, Künstlern und vielen anderen Gruppen, die um der Sache wegen etwas bewegen wollen, abhanden kommen ist. Und warum junge Leute lieber bei der Fünf-Sterne-Bewegung mit ihren basisdemokratischen Instrumenten mitmischen, mögen deren Inhalte mitunter auch noch so gestrig oder populistisch sein. „Wenn das Volk für die Todesstrafe ist, muss das Parlament dem zustimmen“, sagt ein Aktivist ganz ungerührt. Und wie gewunden sich manch führende PD-Funktionäre äußern, wenn es um politische Grundsätze geht.
Was denkt das Zielpublikum?
In plaudernden Diskussionsauszügen am heimischen Küchentisch oder in einer fingierten Quizshow spielen sich Hofer und Radazzi die Bälle zu und treiben damit den Erzählfaden in immer neue Richtungen. Allerdings fragt man sich, warum sie sich bei ihren Stippvisiten kaum über die hauptstädtische Politszene hinaus gewagt und keine Vertreter der bis heute in linken Kreisen viel beschworenen Arbeiterklasse aufgesucht haben, wenn sie doch zeigen wollen, wo Italiens ehedem so stolze Linke heute steht und welchen Rückhalt sie noch genießt. Auch wünschte man sich eingehendere Betrachtungen dazu, wie schwierig es ist, in einer sozial- und christdemokratisch geprägten Partei, linke Markenkerne anzubieten.
Dennoch: Am Beispiel Italiens und der Demokratischen Partei führt der mit bissiger Leichtfüßigkeit inszenierte und nachdenklich stimmende Film vor, welche bedenklichen Wechselwirkungen auftreten können, wenn gesellschaftliche Standards und politische Grundüberzeugungen ins Schwimmen geraten. In der flaneurhaften Grundhaltung steckt eine überdeutliche Warnung, dass Italien überall sein kann.
Info: „What is left?“ (Italien 2013), ein Film von Gustav Hofer und Luca Ragazzi, erzählt von Lucia Mascino, mit Gustav Hofer, Luca Ragazzi, Enzo Lettuca, Celeste Costantino, Dario Franceschini u.a., 93 Minuten.
Ab sofort im Kino
0
Kommentare
Noch keine Kommentare