Kultur

Zu viel und zu oft Routine

von Matthias Dohmen · 23. April 2014

Ein Jahr lang hat der Publizist Roger Willemsen auf der Besucherbank des Bundestages gesessen und die Fraktionen im Parlament beobachtet. „Das Hohe Haus“ heißt sein Buch darüber, seine Bilanz ist zwiespältig.

Auf dem links-grünen Spektrum habe er „mehr imponierend kompetente und beteiligte Leute gefunden“, sagte Roger Willemsen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zu seinen zwölf Monaten im Parlament. Die „meisten Karrieristen“ tummelten sich bei der FDP.

Kein Inhalt, aber Geschmacksverstärker

Liest man das Buch, kann man noch einmal den Frontmännern der Freien Demokraten, den Philipp Röslers oder Rainer Brüderles, über die Schulter schauen. Willemsen nennt sie alle, berichtet auch, wie bei den Reden der aus dem Parlament Ausgeschiedenen „Hotelpartei“ gerufen wird. Willemsen erklärt, es gebe Redner, „die setzen Geschmacksverstärker zu“, und „solche, die bestehen nur aus Geschmacksverstärker“.

Über den CDU-Mann Georg Nüßlein, der die Mitglieder der Partei Die Linke für gefährlich hält, weil sie Radikale seien, schreibt der Chronist: „Warum seine Rede gehalten werden musste, weiß man nicht.“ Nicole Bracht-Bendt verteidigt in einer frauenpolitischen Debatte die „Freiheit und die Firmen gegen die Frauen“ und polemisiert, vom freidemokratischen Blatt ablesend, gegen die Frauenquote. Da kann Willemsen nur noch Bismarck zitieren: „Es gibt kaum ein Wort heutzutage, mit dem mehr Missbrauch getrieben wird, als mit dem Wort ‚frei’.“

Kein Luther im Deutschen Bundestag

Das sind interessante Beobachtungen. Den Leser fesseln hier und da auch Passagen über die Geschichte des Reichstages und den Architekten Paul Wallot, der sich gegen harte Konkurrenz durchzusetzen wusste. Nur mit seinem Vorhaben, eine Luther-Büste aufzustellen, scheiterte er an katholischen Abgeordneten.

Andere Betrachtungen sind weniger aufregend und eher zufällig. Die „Zeit“ hat sich gefragt, warum das Buch alles in allem „so schwach“ ausgefallen sei. Der Spannungsbogen fehlt. Tausend Einzelbeobachtungen ergeben nicht unbedingt ein treffendes Gesamtbild.

Humorlos und als kompetent angesehen

Aber vielleicht haben es Willemsen die handelnden respektive redenden Akteure auch schwer gemacht. Darf gelacht werden? „Der Humor im Parlament tritt kathartisch auf, reinigend und erleichternd, aber er ist schwer zu dosieren – zu viel davon, und der Redner ist unseriös, nichts davon, und er ist kompetent.“ Die Redner, die etwas zu sagen wussten und via Fernsehen auch den Bürger in ihren Bann zogen, sind selten geworden.

Das eine oder andere, das Willemsen festhält bleibt dennoch hängen. Die Tatsache, dass es im Buch kein Personenregister gibt, in dem man die Akteure nachschlagen könnte, ist schade für Willemsen und schade für den Bundestag.

Roger Willemsen: "Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament", Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, 398 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-10-092109-3

 

Autor*in
Matthias Dohmen

Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare