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Ägyptens neue Verfassung

von Jörg Armbruster · 13. Januar 2014

„Ja“. Das wichtigste Wort dieser Tage in Ägypten. Ja auf Plakaten. Ja  in den Zeitungen. Im Fernsehen natürlich auch. Zu einem entschiedenen „Ja“ fordern Unternehmer auf, ebenso Privatpersonen und natürlich die Regierung. Sogar die Imame  predigen in den Moscheen dieser Tage, ein guter Muslim sagt: „Ja“.

Von den Kanzeln der Kirchen dröhnt es nicht anders. Der Chor der Ja-Sager soll anschwellen bis zum 14. Und 15. Januar. An diesen beiden Tagen sollen nämlich möglichst viele Ägypter über ihre neue Verfassung abstimmen. Dafür werben Regierung und ihre Sympathisanten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Wer Nein-Plakate klebt, riskiert Ärger mit der Polizei.

Militär und Übergangspräsident brauchen neue Verfassung

Übergangspräsident  Adli Mansur und der heimliche Herrscher im Land, Militärchef Abd al Fattah as-Sisi, brauchen ein gutes Ergebnis bei dieser Abstimmung über die neue Verfassung, die die alte von den Moslembrüdern und Salafisten ausgearbeitete ablösen soll. Immerhin hatte das Militär am 3. Juli den ein Jahr zuvor gewählten Präsidenten Mursi handstreichartig ab- und dessen Verfassung außer Kraft gesetzt, obgleich im Dezember 2012 immerhin 66 Prozent der Wähler für diese von den Moslembrüdern diktierte Vorstellung einer gerechten Gesellschaft gestimmt hatten, wenn auch bei einer nur geringen Wahlbeteiligung.

Gewinnen Mansur und as-Sisi bei dem Referendum viele Ja-Sager, dann hoffen sie, diesen Militärputsch vom 3. Juli nachträglich legitimieren zu können: „Wer ja zur neuen Verfassung sagt, sagt auch nachträglich ja zu Mursis Absetzung“, schreibt die staatliche Zeitung Al-Ahram. Von Putsch ist in Ägyptens Zeitungen nicht die Rede. Wer dieses Unwort benutzt, macht sich sogar verdächtig im Land am Nil. Nur Moslembrüdern sprächen von einem Putsch oder verbohrte Vertreter linker Bewegungen, beide hätten mit Ägypten jedenfalls nichts Gutes im Sinn, wird uns in Kairo immer wieder erklärt mal freundlich, manchmal aber auch harsch in den Block diktiert. Der aufrechte Ägypter und alle Ausländer guten willens mögen doch bitte nur von der zweiten Revolution sprechen.

Militär behält alle Sonderrechte

Doch wer auf Putsch besteht, kann sich eigentlich freuen. In ein paar Tagen kann er sich auf die neue Verfassung berufen. Der Entwurf garantiert nämlich Redefreiheit, genauso Religionsfreiheit, allerdings nur für Islam, Christentum und Judentum. Aller anderen Konfessionen dürfen in Ägypten nicht öffentlich praktizieren, denn nur diese drei sind im Koran anerkannt. Die Scharia bleibt Hauptquelle der Gesetzgebung, eine religiös-politische Rückversicherung, die sich in fast allen arabischen Verfassungen findet. 

Immerhin haben die 50 Väter dieser neuen Verfassung die sunnitische Azhar-Moschee als oberste Verfassungsinstanz in Religionsfragen wieder gestrichen. Mursi hatte über diesen Hebel versucht, noch mehr Religion in die Gesetzgebung zu zwingen. Diese neue Verfassung verbietet jede Art von Diskriminierung. Frauen sollen ausdrücklich auch für hohe Staatsämter kandidieren dürfen. Das Militär allerdings, und das ist der größte Pferdefuß, behält seine Sonderrechte und entzieht sich und sein Budget jeder parlamentarischen Kontrolle. Militärgerichtsverfahren gegen Zivilisten sind auch in Zukunft möglich. Das Militär bleibt also der Staat im Staat, der es seit Zeiten des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser immer schon war.

Manipulation sind weiter Tür und Tor geöffnet

Daher warnen Oppositionspolitiker auch vor allzu viel Verfassungseuphorie. „Sie sei zwar besser als die alte“, kommentiert zum Beispiel Khaled Daoud, Sprecher der linksliberalen „Al Dostour-Partei“, den Entwurf, warnt aber gleich, man müsse das Kleingedruckte lesen. Die wichtigsten Artikel enden nämlich mit dem Gummiverweis, alles Nähere regeln Gesetze. „Manipulation ist so Tür und Tor geöffnet“, fürchtet Daoud, der zu den führenden Köpfen der Tamarod-Bewegung gehörte, deren Proteste um Juli mit zum Sturz Mursi geführt hatte.

Wie eine solche Manipulation funktionieren kann, davon bekam die Opposition im vergangenen November einen Vorgeschmack. Am 24. November 2013 entschied Übergangspräsident Mansour per Dekret, die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit drastisch einzuschränken. Human Rights Watch schrieb damals: „Das Gesetz gibt dem Innenministerium das Recht, öffentliche Versammlung mit mehr als 10 Personen zu verbieten, einschließlich Wahlveranstaltungen.“ Das Gesetz unterscheidet so gut wie nicht zwischen gewalttätigen und friedlichen Demonstrationen. 

Wer gegen dieses Gesetz verstößt, muss mit harten Strafen rechnen. Die Härte dieses Gesetzes haben bisher nicht nur die inzwischen zu Terroristen erklärten Moslembrüder zu spüren bekommen. Selbst Vertreter solcher linksliberale Bewegungen wie dem „6.April“ sitzen im Gefängnis, weil sie gegen dieses Gesetz demonstriert hatten. Friedlich zwar aber ohne Genehmigung des Innenministeriums. Die Jugendbewegung „6.April “  hatte vor drei Jahren unter anderem via facebook  und auf dem Tahrirplatz erfolgreich zum Sturz Mubaraks aufgerufen.

„Was wir im Augenblick in Ägypten erleben“, erklärte uns Khaled Daoud bei unserem Besuch, „ist ein Rachefeldzug der alten Mubarakgarde. Wir steuern in Ägypten auf ein Mubarakregime zu ohne Mubarak.“

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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