Grenzen zu überwinden ist das zentrale Motiv der Filme von Eran Riklis. In seinem spröden Roadmovie „Die Reise des Personalmanagers“ entlarvt er die Trennlinien des globalisierten Arbeitsmarktes.
„Lemon Tree“ – darin kämpft eine Palästinenserin dagegen, dass ihr Zitronenhain von Grenzanlagen durchpflügt wird – brachte dem israelischen Regisseur im Jahr 2008 Nominierungen für den Europäischen Filmpreis und den Panorama-Publikumspreis der Berlinale ein.
Für den großen Erzählrahmen seines neuen Films spielt der Nahost-Konflikt eher eine mittelbare Rolle. Doch für Yulia Petracke wird er zur tödlichen Falle: Nach einem Selbstmordattentat landet sie in einem Jerusalemer Leichenschauhaus. Eine Woche lang interessiert sich niemand für die Rumänin, bis ein Journalist herausfindet, dass sie bei der größten Bäckerei der Stadt angestellt war. Auch dort hat sie niemand vermisst: Was für ein Imageschaden!
Unsichtbar und ganz unten
Nun muss der Personalchef jener Brotfabrik die Geschichte ausbügeln, bevor sie im lokalen Revolverblatt erscheint – und findet heraus, dass der Schichtleiter mit Yulia eine Affäre hatte. Er war es, der die Gebäudereinigerin vor Wochen entlassen, aber nicht von der Gehaltsliste gestrichen hatte: Um einerseits seine Ehe nicht zu gefährden und andererseits die Ex-Geliebte nicht mittellos zu lassen. Es ist tragisch: Erst als Tote wird Yulia zum Individuum. Sie steht für die vielen „Unsichtbaren“ in der heutigen Arbeitswelt, die eine ebenso unsichtbare Grenze von den vergleichsweise etablierten Schichten trennt: nicht nur, aber auch in Israel.
Eigentlich ist der in Scheidung lebende Familienvater mit sich selbst beschäftigt. Sein Job und das tägliche Aktenfressen zermürben ihn. Seine Chefin gibt ihm eine letzte Chance: Ihr Personalchef soll Yulia ein würdevolles Begräbnis verschaffen – in ihrem Heimatland, als Wiedergutmachung. Mit seinem Plan, sich mehr um Kinder und Noch-Ehefrau zu kümmern verträgt sich das schlecht.
Ankunft im Chaos
Nicht jedem dürfte die etwas holperige dramaturgische Wendung zusagen, die nun folgt. Mit dem Abflug nach Rumänien mutiert die Milieustudie über das Arbeitsmigranten-Land Israel zum Roadmovie. Mit dem Flug an sich ist es nämlich nicht getan. Kaum in Südosteuropa gelandet, bricht ein bürokratisches Chaos über den Bäckerei-Gesandten herein: Wer soll die Empfangspapiere für die Tote unterzeichnen?
Dem Personalmanager und dem mitgereisten Journalisten gelingt es, Yulias minderjährigen Sohn in einer verwahrlosten Vorstadt aufzutreiben. Doch der behördlichen Ordnung ist damit nicht Genüge getan. Bleibt nur dessen Großmutter in einem 1000 Kilometer entfernten Dorf, irgendwo in den Bergen. Dorthin lässt sich nach allerlei Verwicklungen nur mit einem ausrangierten Panzer gelangen: Der truppenerprobte Personaler lässt nichts unversucht, um seinen Auftrag zu erfüllen. Aber auch dort wird Yulias Reise nicht beendet sein.
Innere Mauern fallen
Gerade das ungewisse Ende macht den Charme dieses Films aus. Nicht nur für Roadmovies, auch für das verfahrene Leben des Personalmanagers ist der Weg das Ziel, vielleicht sogar eine Mission. Gab er anfangs das Klischee eines lakonischen, egoistischen Mittelklasse-Israeli, der sich weder um Terroranschläge noch um „Gastarbeiter“ kümmert, reißt die Überführungsaktion Mauern in ihm ein, weckt vergessene Instinkte in ihm: Einsatz und Aufopferung für andere, Verlässlichkeit, sogar Liebe? Letzteres lässt zumindest der Augenblick vermuten, als er wie gebannt ein Handybild der Toten betrachtet – die letzte Erinnerung, die dem Sohn von seiner Mutter bleibt. Es ist einer der wenigen Momente, in dem die Gefühle des Protagonisten nicht nur zu erahnen, sondern auch zu sehen sind.
Das allzu stoische Spiel von Hauptdarsteller Mark Ivanir zählt dann auch zu den Schwächen des Films. Nicht, dass man erwarten würde, die Wandlung vom Kotzbrocken zum Kümmerer auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Doch sein eingefrorener Blick und die – zumindest in der deutschen Synchon-Fassung – mit stetig sonorem Timbre gebellten Sätzchen lassen Monotonie aufkommen. Selbst wenn Riklis diese Merkmale im Sinne des Genres als Zeichen des „werdenden Unfertigen“ verstehen mag: Besonders originell ist der Zugang nicht.
Standhafter Regisseur
Obendrein wirken Ästhetik und Erzählweise unentschlossen. Einen Sarg aus Israel per Panzer in die verschneite Pampa Rumäniens zu karren, was für eine Einladung zur folkloristischen Groteske! Es spricht für den Regisseur, dieser Versuchung nicht erlegen zu sein. Dennoch kann die Wahl seiner Mittel nur bedingt befriedigen.
Die Annäherung zwischen dem Personalchef und Yulias Familie trägt Züge spröden Gefühlskinos, während der Rattenschwanz aus Reporter, Soldaten und so weiter mit komödiantischen Mitteln die bizarre Gesamtsituation widerspiegeln. Wirklich zusammen finden diese beiden Sphären kaum – wie so viele Gegensätze in uns selbst