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Kurzvisite im Paradies

von Franz Viohl · 21. Februar 2012

Auf dem Bau, bei der Müllabfuhr oder in der Gebäudereinigung – durch keine Arbeit konnte er langfristig seinen Lebensunterhalt bestreiten. Die Geschichte des Migranten Juan ist ein Ausschnitt aus einem Land, in dem zwei Drittel der Menschen von weniger als 170 Euro im Monat leben.

„Ich bin eben ein Abenteurer“, sagt Juan grinsend und fügt hinzu: „Nach zu langer Zeit an einem Ort wird mir langweilig.“ Juan, der seinen wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bleibt Optimist. Er hat keine andere Wahl. Seit 14 Jahren durchstreift er Mexiko auf der Suche nach einer Arbeit, von der er leben kann, aber die niedrigen Löhne und die Kriminalität ließen ihn nirgendwo sesshaft werden. Juan ist 26.

Als er acht war, folgte er seinem Onkel nach Ciudad Juárez, diejenige Stadt an der Grenze zu den USA, die in den letzten Jahren zum Inbegriff des mexikanischen Drogenkriegs geworden ist. Mit zwölf begann er mit falschen Papieren zu arbeiten, zuerst in einer Fabrik, die Sicherheitsgurte für amerikanische Autos herstellt. „Natürlich sah ich jung aus“, sagt er, „aber in diesem Alter zu arbeiten ist dort nichts Ungewöhnliches.“ Denn Ciudad Juárez ist nicht nur ein Übergangspunkt für Migranten und Drogen in die USA, sondern auch eine Stadt der sogenannten „maquiladoras“, Fabriken, die von Textilien bis Maschinenteilen alle erdenklichen Güter für das Nachbarland produzieren – zu Löhnen, die zum Leben kaum reichen.

Gescheiterte Auswanderung
Juan versuchte trotzdem sein Glück. „Mein Leben bestand aus nichts als Arbeit und wenn ich abends nach Hause kam, warteten oft die Banden auf mich.“ Diese nahmen ihm dann einen Teil seines Gehalts ab, „so ist es eben in Juárez“. Wie so viele Mexikaner versuchte er es auch in den USA. Zweimal kam er über die Grenze, zweimal wurde er erwischt. Nach jüngsten Zählungen des Census Bureau leben im Nachbarland 30 Millionen Menschen mexikanischen Ursprungs, doch allein 2011 wurden beim illegalen Übertritt knapp 400.000 Mexikaner abgeschoben.

Weil aus dem amerikanischen Traum nichts wurde, zog Juan nach Veracruz an der mexikanischen Ostküste, wo er in der Reinigung eines Flughafens Anstellung fand. Dort sei die Lage zwar entspannter gewesen als an der Grenze, aber zum Leben habe es auch dort kaum gereicht. „Stets musste ich weitersuchen, denn wie soll ich eines Tages eine Familie ernähren?“ Ein Cousin verschaffte ihm einen Job bei der Müllabfuhr in Nuevo Laredo. Wieder an der amerikanischen Grenze.

Schlechte Aussichten ohne Bildung
Diese Lage teilt Juan mit dem Großteil seiner Landsleute: Angaben dem nationalen Statistik-Institut zufolge verdienen 57 % der Mexikaner den ein- bis dreifachen Mindestlohn. Das sind 60 Pesos am Tag, etwa 3,50 Euro. Zwei Drittel der Berufstätigen verdient weniger als 170 Euro im Monat. Dieser Anteil hat, wie Juan, keinen höheren Schulabschluss. Ein Ingenieur mit Hochschulabschluss verdient fünf Mal mehr als jemand, der die gleiche Tätigkeit ohne höhere Bildung ausübt. Im Heimatland des reichsten Menschen der Erde besuchen der UNESCO zufolge nur 24 % der 20 bis 24-Jährigen eine Universität.

Juan nimmt es gelassen, studieren wolle er nicht mehr. Und kann nicht, arbeitet er doch seit er zwölf ist. Dabei hat er mit seiner letzten Arbeit Glück gehabt: Seine Schwester, die mit einem Hotelbesitzer an der Karibikküste verheiratet ist, hat ihm eine Stelle als Strand-Reiniger verschafft. Wenn die amerikanischen Touristen von ihrem Kreuzfahrtschiff an Land gehen, dürfen keine Algen am Traumstrand herumliegen. Ob er denn hier nicht zufrieden ist, wird er oft gefragt, schließlich lebe er doch im Paradies. „Aus der Sonne mache ich mir nichts mehr und dieser Job ist auch nur für sechs Monate.“ Juan kennt die Arbeitssituation dort, stammt er doch aus dem Bundesstaat Quintana Roo, dem an die Karibik angrenzenden Teil der Halbinsel Yucatán.

Hoffnung trotz Ungewissheit
Vielleicht verschlägt es ihn schon bald wieder nach Ciudad Juárez oder Nuevo Laredo, auf der Suche nach einer Heimat, die er nie hatte. „Klar, ich könnte am Strand mit einem angespülten Drogen-Paket Geld machen, die sind eine Million Dollar wert.“ Aber auch hier patrouilliert das Militär und aus Ciudad Juárez weiß Juan, dass jeder um sein Leben zu fürchten hat, der sich in das Geschäft der Drogenkartelle einmischt.

Juan ist einer der wenigen, der dieser Verlockung widerstrebt. Er glaubt allerdings nicht daran, dass ein neuer Präsident, der in Mexiko im Juli gewählt wird, die Kriminalität wird beseitigen können. Aber er glaubt an sich und daran, mit ehrlicher Arbeit durchzukommen. Denn sein Traum steht fest: „Ich möchte eine Frau kennenlernen, heiraten und eine Familie haben.“ Aber seine Kinder, sagt Juan mit Blick auf das Meer, die sollen nicht so viel arbeiten müssen wie er.

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