Geschichte

Willy Brandt: Wir waren so stolz auf ihn!

von Renate Faerber-Husemann · 17. Dezember 2013

Am 18. Dezember wäre er 100 Jahre alt geworden. Noch heute verehren ihn besonders jene, die in den 1960er und 70er Jahren jung waren.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick zwischen dem SPD-Vorsitzenden und Vizekanzler Willy Brandt und uns damals jungen Leuten. Wir demonstrierten 1966 gegen die große Koalition. Dass ausgerechnet der Emigrant Willy Brandt einen Kanzler mit NSDAP-Parteibuch akzeptierte – und vier Jahre nach der Spiegel-Affäre half, Franz Josef Strauß zu rehabilitieren – wollten wir nicht akzeptieren. 

Erst änderte sich der Ton, dann die Politik

Doch dann geschah Erstaunliches: Trotz Kiesinger und Strauß änderte sich erst der Ton – und dann die Politik. Schon als Außenminister suchte Willy Brandt nach Möglichkeiten der Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn. Und innenpolitisch wurden in atemberaubendem Tempo Reformen durchgesetzt, die unser Leben direkt betrafen. Schnell wurde aus neugieriger Skepsis Zuneigung und dann Begeisterung.

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Was heute weitgehend vergessen ist: Zwischen 1966 und 1969 zog die NPD in sieben Landtage ein und scheiterte bei der Bundestagswahl 1969 nur knapp an der 5-Prozent-Hürde. Das politisierte uns, wenige Jahre nach dem Auschwitz-Prozess, mehr als jedes andere Thema. Bei den großen Demonstrationen trafen sich Sozialdemokraten, Gewerkschaften, das liberale Bürgertum, Christen und eben viele Jugendliche, die noch nicht einmal wählen durften. Wir kämpften nicht nur gegen die ewig Gestrigen in Lodenmänteln, sondern auch für eine andere Politik, für die ein Mann wie der Emigrant und Widerstandskämpfer Willy Brandt ebenso stand wie die SPD-Minister im Kabinett.

Wahlrecht mit 18

Die beiden Justizminister der großen Koalition, Gustav Heinemann und (nach dessen Wahl zum Bundespräsidenten) Horst Ehmke modernisierten das Land, fegten den Mief noch aus den letzten Ecken: Das Wahlrecht wurde auf 18 Jahre gesenkt. Nichteheliche Kinder wurden den ehelichen gleichgestellt. Die anachronistischen Strafvorschriften für Ehebruch und für Homosexualität wurden gestrichen. Das politische Strafrecht wurde entrümpelt, die Verfolgung der Kommunisten eingestellt.

Als Willy Brandt dann 1969 Kanzler wurde, war das für uns eine Zeitenwende. Wir hatten einen Regierungschef, der milde und verständnisvoll mit den rebellierenden 68ern umging. Wir verehrten seine schöne und kluge Frau Rut. Wir waren stolz auf diesen Mann, für den wir uns im Ausland nicht schämen mussten. 

Doch die knappe Mehrheit der sozialliberalen Koalition schmolz rasch dahin, weil rechte FDP-Abgeordnete zur Union wechselten. An der neuen Deutschland- und Ostpolitik festzuhalten, war nach dem Einmarsch der Russen 1968 in Prag ein Kraftakt. Die abscheulichen Hetzkampagnen aus der Union, die ihre Wahlniederlage von 1969 beleidigt für einen rasch zu korrigierenden Betriebsunfall hielt, verletzten Willy Brandt. Der Emigrant wurde als Vaterlandsverräter geschmäht, wegen seiner nichtehelichen Geburt verhöhnt, in seinem Privatleben wurde herumgestochert.

Kniefall und Friedesnobelpreis

Gleichzeitig war es eine Zeit großer Erfolge: Die Ostpolitik kam voran. Für seinen Kniefall in Warschau im Dezember 1970 liebte ihn die halbe Welt. 1971 bekam der Kanzler den Friedensnobelpreis, und wieder waren wir so stolz auf ihn! Wildfremde Menschen lagen sich auf der Straße mit Tränen in den Augen in den Armen. Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum 1972 und einem kurzen, heftigen Wahlkampf siegte die SPD und lag mit 45,8 Prozent der Stimmen erstmals vor der Union.

Nun schien alles möglich zu sein. Die Erwartungen an „unsere“ Regierung stiegen ins Unermessliche. Wir waren schließlich die Guten, die immer noch mit Willy „mehr Demokratie wagen“ wollten. Doch Willy Brandt war wohl erschöpft, wir waren enttäuscht. Und der Radikalenerlass machte uns zornig und ratlos. Eines allerdings änderte sich nicht: Wir blieben Willy Brandt treu. Als er 1974 zurücktrat, flossen wieder Tränen. Unsere Generation hörte nie auf, ihm dankbar zu sein.

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Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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