Kultur

Ein Paradies
 zum Verduften

von ohne Autor · 2. August 2013

Wer kennt ihn nicht, diesen Wunsch: sich einfach in Luft aufzulösen, wenn die Umgebung unerträglich ist. Als wäre man nie da gewesen. „Halbschatten“ erzählt davon, wie eine Frau diesen Schritt im übertragenen Sinne tut und sich aus der Isolation in einer scheinbaren Idylle befreit.

Am Ende fragt sich auch der Zuschauer, ob Merle, die Hauptfigur, in Nicolas Wackerbarths Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), dort überhaupt Spuren hinterlassen hat. Doch vor dem erlösenden Verschwinden macht sie aufreibende Tage durch. Ihr Geliebter und Verleger hat sie in seine Villa an der Côte d' Azur kommen lassen. Dort steht sie im besten Sinne wie bestellt und nicht abgeholt. Konkret: vor verschlossener Tür. Anstelle von Romuald verschafft ihr ein Nachbar Zugang zu dem Domizil mit Pool und Meeresblick. Merle wartet. Und wartet. Plötzlich trudeln Romualds Kinder ein. Doch vom Vater keine Spur. Stattdessen plagt sich Merle mit Emma und Felix herum. Schnell wird klar, dass vor allem mit Letzterem kaum eine Annäherung möglich ist. Zu groß ist die Ablehnung des Teenagers der Enddreißigerin gegenüber. Beide nicht eben wohlerzogenen Kinder vermissen ihre Mutter. So entsteht eine diffuse Spannung zwischen Ignoranz und Sticheleien, von der man nicht weiß, wohin sie führt. Merle lässt Felix im Pool baden, obwohl ihr klar ist, dass er voller giftiger Reinigungssubstanzen ist. Den von Emma sehnlichst gewünschten Geburtstagskuchen vergisst sie abzuholen.

Erst ein Anruf des Vaters bricht das Eis zwischen Merle, Emma und Felix. Dass Merle in dieser Familie und in diesem Haus niemals ihren Platz finden wird, steht dennoch außer Frage. Als Romuald doch noch auftaucht, packt sie ihre Sachen und verschwindet. Das Wiedersehen fällt aus. Für viele Menschen um sie herum ist sie ohnehin nie wirklich dort gewesen. Das zeigt bereits die frühe Begegnung mit jenem Nachbarn, der ihr in Romualds Anwesen den Weg zum Gästezimmer weist, anstatt zu erkennen, welche Rolle sie in dessen Leben spielt. Und dann schrillt auch noch die Alarmanlage: Sogar für das Haus ist Merle ein Eindringling.

Alles umsonst

Keine Frage: „Halbschatten“ ist alles andere als leichte Kost. Manch einer mag gar gänzlich abwinken, wenn obendrein der schwammige Begriff „Berliner Schule“ fällt, der Wackerbarth zugerechnet wird. Frei nach dem Motto: Wieder einmal werde wieder einmal zu wenig auserzählt und zu viel angedeutet. Über allem liege der übergroße Schatten der scheiternden Protagonistin, die vergeblich nach ihrem Platz in diesem Haus am Meer und in ihrem Leben sucht. Alles vorhersehbar, sozusagen. Doch diese verkürzte Sicht auf die Dinge wird diesem Film nicht gerecht.

Zwar besitzt die Geschichte nicht jene erzählerische Raffinesse, wie sie etwa die Filme von Christian Petzold („Barbara“) auszeichnet, der gerne als Großmeister der Berliner Schule gesehen wird. Auch bleiben Wackerbarths Figuren vergleichsweise unscharf. Umso deutlicher ist die Rolle der scheinbaren Küstenidylle: Die tausendfach zur Film-Ikone stilisierte Szenerie wird hier als kollektive Lethargie inszeniert, die unvermittelt in Ausgrenzung und  Aggression umschlägt. Hier regiert kein Lebensgenuss, sondern die ausgiebig von der Kamera eingefangene Erstarrung eines Wohlstandsghettos. Es ist einer dieser Orte, wo die anderen entscheiden, wer dazugehört. Wer nicht ins Raster passt, bleibt für immer außen vor. Als Alternative bleibt nur, sich sein eigenes Paradies zu suchen.

 „Halbschatten“ entwickelt einen ganz eigenen, wenn auch spröden Sog. Allein, weil sich Wackerbarth vorgenommen hatte, sich auf jene Szenen zu konzentrieren, die normalerweise dem Schnitt zum Opfer fallen würden, wie er etwas kokett in einem Interview sagte. In mitunter quälend langen Einstellungen und bei wuchtigem Ton schauen wir Merle dabei zu, wie sie sich in dem mustergültig eingerichteten Haus umschaut, mit dem Nippes auf dem Tisch herumspielt oder hinter einen Busch pinkelt. Also Handlungen vollführt, denen an sich wenig Dramatik innewohnt.

Wechselnde Rollen

Unabhängig von der formalen Strenge gelingt es Hauptdarstellerin Anne Ratte-Polle, die Neugier auf ihre Figur am Leben zu erhalten. Andauernd fragt man sich, warum sie nicht einfach wieder abreist oder wann sie Felix an die Gurgel geht. So undurchsichtig wie ihre Umgebung ist auch Merle.
Zudem hat sie zunehmend Spaß daran, die Rollen zu tauschen. Sie versucht sich wahlweise als Ersatzmutter, als Flaneurin oder eben auch als junggebliebene Schriftstellerin, die sich von halbwüchsigen Partygästen die faltenfreien Hände bestaunen lässt. Irgendwann kommt sogar die Erotik ins Spiel. Doch auch das bringt Merle ihrem Umfeld letztendlich keinen Deut näher.

So gesehen ist sie eine tragische Figur – zumindest in dem Kontext, den wir überblicken. Was wird nach ihrer Abreise mit ihr passieren? Was hat das alles mit ihr gemacht? Wackerbarth verweigert den Blick ins Innere dieser zugleich unscheinbaren, trotzigen und anziehenden Frau, von der man am Ende nicht weiß, ob sie für die anderen ein ungebetener Gast oder nur ein einziges Nichts war. Zumindest die Zuschauer werden sich an sie erinnern.

Info:

„Halbschatten“ (Deutschland/Frankreich 2013), ein Film von Nicolas Wackerbarth, mit Anne Ratte-Polle, Emma Bading, Leonard Proxuaf, Nathalie Richard u.a., 80 Minuten, OmU.

Ab sofort im Kino


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