Es ist eine Art politischer Reiseführer durch das lange Leben eines großen deutschen Reporters: „Unterwegs – Politische Erinnerungen“ heißt Gerd Ruges Buch. Der Journalist wird am 9. August 85 Jahre alt.
Es ist ein Buch, das durch die Jahrzehnte nach dem zweiten großen Krieg des vergangenen Jahrhunderts führt. Es ist ein Buch über einen Journalisten, der 1964 das erste Mal vor dem Weißen Haus in Washington D.C. stand. Da war er 36 Jahre alt. Es gab keine Handys, keine Kassettenrecorder, keine Walkmans. Es gab schwarz-weiß Fernsehen.
Ein Journalist der Nachkriegszeit
Es ist ein Buch über Teddy Kennedy und Martin Luther King, über Leonid Breschnew und Willy Brandt, über Alexej Kossygin und Egon Bahr, über Tschou Enlai und immer wieder über Russland. Vor allem ist es das Buch eines Reporters, der in bester britischer Tradition mit Empathie und Distanz seit 1949 durch die Welt gereist ist, für das öffentlich-rechtliche Radio, für Zeitungen und für die ARD. Gerade ist sein Buch herausgekommen.
Als Ruge nach dem zweiten Weltkrieg Journalist wurde, war die deutsche Presse von den Nazis, ihren Anhängern und Vasallen in den Verlagen und Redaktionen ruiniert. Das Publikum war es auch. Vollgemüllt von der 12 Jahre währenden Propaganda des „Dritten Reiches“. Großen Reportern wie unter anderem Georg-Stefan Troller, Jürgen Graf, Hermann Rockmann, Peter von Zahn, Dagobert Lindlau und Gerd Ruge ist es zu danken, sich in den Jahren bis 1985 Qualitätsjournalismus im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen entwickelte. Gefördert von großen Intendanten wie von Bismarck und von Sell, um nur zwei zu nennen.
Berichten ohne zu verzerren
Gerd Ruge steht für diese Generation unaufgeregt berichtender Journalisten. Uneitel. Genau. Sie erzählten Geschichten, die sich zugetragen hatten, die geschahen. Da war kein gespreiztes Heruntergehaspel unvollendeter Sätze zu hören. Ruges Buch ist ein Beleg, besser Zeugnis dafür. Es ist kein Wehklagen „Früher war alles besser“. Das ist nicht die Haltung des Autors. Er zeigt sehr genau und einfühlsam, was anders war: In der Politik, im Journalismus. Die Zeit des Kalten Krieges war brutal.
Ruges Berichterstattung aus dem Vietnam zeigt das. Seine Berichte aus der sowjetischen Hauptstadt zeigen das. Der Journalismus war nicht angetrieben von den „professionellen“ Windmachern der Branche und Ruge machte etwas, das er ganz ausgezeichnet konnte: Er berichtete. Ohne zu schreien, ohne sein Gesicht zu verzerren und oft ohne Gesprächspartner, weil er selbst erzählte.
So ist auch sein Buch, das seine Tochter Elisabeth als Verlegerin gemacht hat in Berlin. Dort, wo auch sein Sohn Boris lebt und im Außenministerium arbeitet. Es ist ein gutes Buch geworden. Ich will das so schlicht sagen. Bücher von Fernsehjournalisten sind das in aller Regel nicht. Häufig sind sie genauso eitel und geschwätzig wie ihre Autoren. Gerd Ruge ist das nicht. Er ist authentisch und das schon sein ganzes, langes Journalistenleben lang.
Gerd Ruge: "Unterwegs. Politische Erinnerungen", Hanser Berlin, Berlin 2013, 21,90 Euro, ISBN 978-3-446-24369-9
ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).