Inland

Viele Spuren – nur keine auf Neonazis

von Thomas Horsmann · 2. August 2013

Im NSU-Prozess waren in dieser Woche weitere Zeugen geladen, die zum Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße und zu den Mordfällen Şimşek, Kılıç, Özüdogru und erstmals Turgut aussagten. Doch hinter all diesen Vernehmungen stand erneut die Frage, wie konnte die Polizei damals übersehen, dass es sich um rechten Terror handelte?

Diese Frage, mit der sich die NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundestag und im bayerischen Landtag befassten, spielt im Prozess eigentlich keine Rolle, weil es hier um die Schuld oder Unschuld der Angeklagten geht. Dennoch interessiert dies besonders die zahlreichen Nebenkläger, die Angehörigen der Opfer, deren Anwälte immer wieder nachfragen. 

Alle Spuren waren falsch

Kriminalhauptkommissar Albert V., der die Ermittlungen in den Fällen Şimşek und Özüdogru leitete und am Donnerstag als Zeuge vernommen wurde, berichtete nüchtern über die Ermittlungsarbeit. Es habe in diesen beiden Fällen keine Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund gegeben, aber eine Fülle von Spuren, die in Richtung organisierte Kriminalität, Drogen-Milieu, Geldwäsche und Erpressung führten. Außerdem habe es Hinweise auf eine Beziehungstat gegeben. Deshalb sei auch in diese Richtung ermittelt worden. Eine schwere Belastung für die Angehörigen, die an anderen Prozesstagen berichtet hatten, dass sie jahrelang unter den Ermittlungen zu leiden hatten.

All diese Spuren hätten sich jedoch als falsch herausgestellt, räumt der Kriminalhauptkommissar ein, der an allen Ermittlungen der Sonderkommissionen von „Schneider“ über „Halbmond“ bis zu „Bosporus“ beteiligt war. Eine späte Genugtuung für die Angehörigen der Mordopfer. Dies betonte die Nebenklage auch noch einmal in einer Erklärung: „Der Zeuge hat sehr klar gesagt, dass alle diese Spuren falsch waren.“

Keine Hinweise auf Neonazis

Dem Verdacht von Adile Şimşek, der Witwe des am 9. September 2000 in Nürnberg ermordeten Blumenhändlers Enver Şimşek, dass ihr Mann von Neonazis ermordet worden sein könnte, sei man nachgegangen, habe dafür jedoch keine Hinweise gefunden. „Strukturierte Ermittlungen“ habe man deshalb nicht durchgeführt.

Erst als sich zeigte, dass es um eine bundesweite Mordserie ging, habe man ein Täterprofil erstellen können, das auf „einen Sniper oder eine Terrorgruppe“ hinwies, berichtete Albert V. Man habe vermutet, dass es eine kleine Zelle aus zwei oder drei Personen sei, „die sich aus ideologischen oder psychopathischen Gründen berechtigt fühlt, zu töten". Ab 2005 habe es dann strukturierte Ermittlungen in diese Richtung gegeben. 

Mord in Rostock

Die Vernehmung von Albert V. wurde durch die Vernehmung eines Zeugen zum Mordfall Mehmet Turgut unterbrochen. Turgut war am 24. Februar 2004 in einem Kebab-Grill in Rostock mit drei Kopfschüssen ermordet worden. Dieser mutmaßlich fünfte Mord des NSU-Trios wurde zum ersten Mal in den Prozess eingeführt. Der Zeuge, ein junger Mann, der nur wenige Meter entfernt vom Tatort wohnte, berichtete, dass er von zwei bis drei Schüssen geweckt worden sei. Er habe aber nichts Verdächtiges bemerkt, als er aus dem Fenster geschaut habe. Erst später habe ihn ein Freund besucht und darauf aufmerksam gemacht, dass die Polizei am Döner-Grill ermittelte.

89-Jährige war in Lebensgefahr

Zu Beginn der Woche waren drei Nachbarinnen aus der Frühlingsstraße in Zwickau vernommen worden. Dort hatte sich das NSU-Trio ab 2009 in einer Wohnung in Haus 26 versteckt. Nach dem Tod von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos soll Beate Zschäpe dort Feuer gelegt haben, um Spuren zu beseitigen. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe deshalb auch versuchten Mord vor, weil sie den Tod von zwei Handwerkern im Haus und einer 89-jährigen Nachbarin in Kauf genommen habe.

Die drei Zeuginnen waren Angehörige der alten Dame und wohnten ebenfalls in der Frühlingsstraße. Sie berichteten, dass sich die schwerhörige Rentnerin nur mit Rollator in ihrer Wohnung bewegen und ohne Hilf das Haus nicht verlassen konnte. Das habe auch Beate Zschäpe gewusst, die sich mehrmals bei nachbarschaftlichen Gesprächen nach der Gesundheit der alten Dame erkundigt habe. Zwei Zeuginnen berichteten, dass sie kurz nach der Explosion im Haus 26 zu ihrer Angehörigen gerannt seien, um sie aus der Wohnung zu retten. Derweil brannte das Haus schon lichterloh. Die Zeuginnen hatten auch Beate Zschäpe mit ihren Katzen davonrennen sehen. 

Zeugin im Fall Kılıç unglaubwürdig

Am Mittwoch hatte sich das Gericht nochmals ausführlich mit dem Mordfall Kılıç befasst. Ein Gerichtsmediziner berichtete über die schwere der Verletzungen des Gemüsehändlers Enver Kılıç, der am 29. August 2001 in seinem Münchner Laden mit zwei Kopfschüssen getötet worden war. Ein Ballistiker sagte aus, dass die Mordwaffe, eine Ceska 83, ohne Schalldämpfer verwendet wurde. Wahrscheinlich sei eine Plastiktüte über die Waffe gezogen worden, was auch erkläre, wieso keine Patronenhülsen am Tatort gefunden worden seien. 

Weitere Zeugen berichteten, wie sie den Sterbenden im Laden gefunden und die Polizei geholt hatten. Die Zeugenaussage einer Nachbarin war mit Spannung erwartet worden, da sie zwei Radfahrer gesehen hatte, die nach heutigen Erkenntnissen wahrscheinlich Böhnhardt und Mundlos waren. Doch die Aussagen der Zeugin nach der Tat 2001 und 2005 widersprachen sich teilweise. Mal beschrieb sie die Männer als Türken, dann als Westeuropäer, vor Gericht als Osteuropäer. Sie berichtete Richter Manfred Götzl auch, dass sie Kılıç gekannt habe, weil sie bei ihm eingekauft habe – in ihren Aussagen bei der Polizei hatte sie noch gesagt, dass sie nie dort eingekauft habe. So blieben ihre Aussagen unglaubwürdig.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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