Als „Hans Esser“ hat er sich in die Redaktion der „Bild“ eingeschlichen, war „ganz unten“ als „Türke Ali“ und hat immer wieder undercover „aus der schönen neuen Welt“ berichtet. Günter Wallraff steht für investigativen Journalismus über die deutschen Grenzen hinaus. Am Freitag wurde er mit dem August-Bebel-Preis 2013 ausgezeichnet.
Eigentlich sollte er gar nicht hier stehen. Eigentlich wollte er den Preis gar nicht annehmen und sagen: „Sucht Euch einen anderen, der ihn eher verdient hat.“ Er hatte mit dem italienischen Journalisten Fabrizio Gatti sogar schon eine Alternative vorgeschlagen. „Gerne hätte ich die Laudatio auf ihn gehalten.“ Doch nun steht nicht Gatti im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, sondern der, den Günter Grass von Anfang an für den diesjährigen August-Bebel-Preis vorgeschlagen hatte: Günter Wallraff.
Geehrt wird der 70-Jährige für sein Lebenswerk. Unvergessen sind seine investigativen Recherchen in Maske und mit falscher Identität. Als „Hans Esser“ schlich er sich in die Redaktion der „Bild“ in Hannover ein und deckte auf, mit welchen Methoden das Boulevardblatt Meinung macht. Als „Türke Ali“ arbeitete er u.a. für Thyssen und prangerte hinterher fehlenden Arbeitsschutz im Betrieb und alltäglichen Rassismus an. Die Recherche brachte Wallraff zahlreiche Beschimpfungen, eine Prozessflut und schließlich eine Änderung der Arbeitsschutzgesetze ein.
„Forschungsreisen im eigenen Land“
„Günther Wallraff öffnet die Augen für Zustände, die bewusst im Verborgenen gehalten werden sollen“, lobt SPD-Chef Sigmar Gabriel die Arbeit des Journalisten am Freitagnachmittag. Für Günter Grass ist Wallraff „jemand, der stört und dem Konsens unbekömmlich ist“. Und für den Journalisten Willi Winkler hat Wallraff schlicht „der Gerechtigkeitspflege gedient“.
Winkler hält mit viel Witz und einiger Nachdenklichkeit die Laudatio auf Wallraff. Ein ums andere Mal sei dieser zu „Forschungsreisen im eigenen Land“ aufgebrochen, sei zu den Menschen gegangen, habe unter ihnen gelebt. „Ohne Günther Wallraff wüssten wir Bessergestellten doch gar nicht, wie es sich mit Hartz IV lebt“, sagt Winkler und die – zum großen Teil grau melierten – Köpfe im Willy-Brandt-Haus nicken zustimmend.
„Wühler im Dreck“
Dabei, das stellt Winkler auch fest, geht das, was Wallraff tut, eigentlich gar nicht. Regelmäßig nimmt der Journalist falsche Identitäten an, lügt, begeht Urkundenfälschung. „Günther Wallraff wühlt im Dreck“, bringt es Winkler auf den Punkt. Nicht umsonst stand der 70-Jährige einige Dutzend Mal vor Gericht.
Doch Wallraff tut das nicht für sich. Er tut es für die Menschen – und für die Leser seiner Bücher. „Den Leser schaudert es bei seinen Schilderungen“, sagt Winkler, „und den Opfer gibt er eine Stimme.“ Wallraff sei, „ein Feuerkopf, der auch August Bebel gefallen hätte“, lobt Winkler. Zu einem ähnlichen Schluss scheint schließlich auch der Geehrte selbst gekommen zu sein. Zumindest ist Wallraff dann doch gekommen, um den Bebel-Preis in Empfang zu nehmen. Und er nutzt die Gelegenheit für zweierlei: zum einen, um die weiter bestehenden Missstände in der Arbeitswelt anzuprangern („Wir leben zunehmend in einer Kastengeselleschaft.“), zum anderen, um anzukündigen: „Ich habe noch einiges vor.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.