Inland

Das Dilemma der wehrhaften Demokratie

von Carl-Friedrich Höck · 29. März 2013

Wie sinnvoll ist ein erneuter NPD-Verbotsantrag? Darüber diskutierten am Mittwochabend Mitglieder der Internationalen Liga für Menschenrechte mit Thomas Willms von der VVN-BdA.

Etwa 20 Menschen haben sich in einem kleinen Saal in Berlin-Prenzlauer Berg versammelt. Auf dem Podium hält Thomas Willms ein Plakat in die Luft. "Fordert das Verbot aller Nazigruppen", steht darauf. Gedruckt wurde es 1974 von der VVN-BdA, der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten."

Thomas Willms ist der Bundesgeschäftsführer der Organisation. Sie vertrete seit ihrer Gründung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine klare Position, sagt Willms. "Wir bestreiten neonazistischen Organisationen das Recht, in irgendeiner Weise an der politischen Willensbildung mitzuwirken."

Damit stößt er bei Rolf Gössner, dem Vizepräsidenten der Internationalen Liga für Menschenrechte, auf Kritik. Gössner wendet ein: Ein solches Ausnahmerecht zu schaffen, widerspreche der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen ergänzt er: "Auch ich wäre froh, wenn die NPD per Gerichtsbeschluss einfach verschwindet." Man solle es aber nicht zum Lackmustest für die antifaschistische Einstellung eines Menschen erklären, ob er für oder gegen ein NPD-Verbot sei.

Nach Gössners Auffassung steckt die "wehrhafte Demokratie" in einem Dilemma. Einerseits müsse der Staat rechte Organisationen beobachten und repressiv auf sie reagieren. Andererseits fördere genau das auch die Fixierung auf die staatlichen Institutionen, die sich als fatal erweisen könne. Denn dadurch könne autoritäres Gedankengut sogar noch gefestigt werden.

Willms will "bessere Kampfsituation" schaffen

Willms betont, die VVN-BdA sei ganz bestimmt nicht autoritätshörig. Schließlich haben sie sich selbst schon gegen Versuche wehren müssen, die Organisation zu verbieten. Noch 2005 wurde die VVN-BdA im Bundesverfassungsschutzbericht erwähnt. Sie sei "linksextremistisch beeinflusst", hieß es darin.

Wenn Willms die Motive seiner Organisation erläutert, klingt er zuweilen etwas martialisch. Er sagt Sätze wie: "Wir wollen die NPD zerstören und das gesamte neonazistische Lager erheblich schwächen, um uns für die Zukunft eine bessere Kampfsituation zu verschaffen."

Doch er ruft diese Sätze nicht aufpeitschend in den Raum, er formuliert sie mit ruhiger Stimme. Und er unterlegt sie mit Argumenten. Seit Mitte der 1990er Jahre fungiere die NPD als Knotenpunkt zwischen drei Bereichen: Sie sei einerseits eine Wahlpartei, andererseits unterhalte sie aber auch Beziehungen zu rechtsextremen Gewalttätern. Und sie unterstütze die neonazistische Kultur, zum Beispiel die Musikszene. Das mache sie so wertvoll für die Rechten - und so gefährlich für die Demokratie.

NPD vom Verfassungsschutz geprägt?

Rolf Gössner verweist noch auf einen anderen Aspekt: Den Einfluss des Verfassungsschutzes auf die Partei. Dabei erinnert er an den letzten Anlauf für ein NPD-Verbot. Es scheiterte 2003, weil die Verfassungsrichter nicht mehr unterscheiden konnten zwischen originären NPD-Positionen und den Äußerungen von V-Leuten.

"Etwa 30 von 200 Vorstandsmitgliedern der NPD standen über Jahre und Jahrzehnte im Sold des Verfassungsschutzes", sagt Gössner. Diese V-Leute hätten die Partei stabilisiert, ausgebaut und nachhaltig mitgeprägt. Dies lasse sich nicht ungeschehen machen. Daher könne auch niemand garantieren, dass das Beweismaterial für den neuen Verbotsantrag nicht ebenfalls durch V-Leute beeinflusst sei.

"Der Bundesrat riskiert ein erneutes Desaster", schließt Gössner daraus. Eine Schlappe vor Gericht würde der NPD wieder neuen Auftrieb verleihen, ist er überzeugt. Zudem lägen die Hürden für ein Verbot sehr hoch. Nach EU-Recht müsse die Partei eine reale Gefahr für die Demokratie darstellen, damit sie verboten werden könne.

Willms kontert: Auch die NSDAP habe 1924 nur drei Prozent der Wähler erreicht. "Wie das Verfahren ausgeht, ist natürlich offen. Schließlich kann in einem Rechtsstaat das Ergebnis vorher gar nicht feststehen."

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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