Kultur

Wir lassen sie verhungern

von Angelo Algieri · 1. März 2013

„Der Hunger ist ein organisiertes Verbrechen.“ So klar und provozierend behauptet das Jean Ziegler. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Recht auf Nahrung schreibt in seinem Buch „Wir lassen sie verhungern“ warum uns der Hunger in der Welt nicht egal sein darf.

Weltweit sind etwa eine Milliarde Menschen permanent schwer unterernährt. 60 Prozent von ihnen in Asien. Hinzu kommen noch jene, die an „unsichtbaren Hunger“ leiden: Ihnen fehlen lebensnotwendige Vitamine und Mineralsalze. Ziegler schätzt, dass davon etwa ein Drittel der Weltbevölkerung betroffen ist.

In seinem Buch analysiert der 78-jährige Schweizer Sozialdemokrat die strukturellen Ursachen für den Hunger in der Welt. Zunächst erklärt er, wie wenige global agierende Agrarkonzerne die Weltmarktpreise von Nahrungsmitteln erheblich beeinflussen. Ziegler führt auf, dass zehn Unternehmen – darunter Aventis und Monsanto – ein Drittel des Saatgutmarktes beherrschen. Die gleichen Unternehmen kontrollieren 80 Prozent des Pestizidmarktes. Gemeinsam mit zehn weiteren Konzernen bestimmen sie 57 Prozent des Absatzes der dreißig größten Einzelhandelsketten weltweit. Die Marktmacht ist unübersehbar.

Kleinbauer gegen Weltkonzern

Daneben macht Ziegler für den Hunger die „apokalyptischen Reiter“ Internationalen Währungsfonds (IWF), Welthandelsorganisation (WTO) und die Weltbank verantwortlich. Sie setzten „Totalliberalisierung und Totalprivatisierung“ in krisengeschüttelte Dritte-Welt-Ländern durch. So führe etwa der Wegfall von Einfuhrzöllen dazu, dass Kleinbauern mit Weltkonzernen konkurrieren müssten. Der Bauer könne nicht mithalten, gibt seine Landwirtschaft auf und verhungert samt seiner Familie. Perfide: Wenn der Markt von wenigen Großkonzernen beherrscht wird, steigen die Preise wieder an.

Eine weitere Ursache für den Hunger sieht Ziegler in der Produktion von Biotreibstoffen, die die Weltmarktpreise auf Grundnahrungsmittel beschleunigt haben. Beispiel: Die USA nutzten 2011 38 Prozent ihrer Maisernte zur Gewinnung von Biotreibstoffen. Auf dem Weltmarkt wurde so weniger Mais angeboten. Die Folge: Seit 2008 ist der Preis für Mais um 48 Prozent gestiegen. Auch der massiv expandierende Zuckerrohranbau in Brasilien zur Herstellung von Biotreibstoffen, trage, so Ziegler, zum Hunger bei.

Deutschland muss handeln

Ziegler nimmt sich auch die Spekulanten an den Börsen vor. Hedge-Fonds-Manager hätten 2008 dafür gesorgt, dass Grundnahrungsmittelpreise stark gestiegen seien. Durch das Zocken, etwa mit Getreide, stieg der Preis 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent.

Trotz seiner polemischen Art, sensibilisiert der streitbare Schweizer für das Welthungerproblem. Mehr noch: Er beschreibt wie die Weltwirtschaft den Hunger strukturell bestimmt und zeigt dies an zahlreichen Einzelfällen. Außerdem appelliert er zu Recht auch an Deutschland, ein Spekulationsverbot auf Grundnahrungsmittel und einen Einfuhrstopp von Biotreibstoffen durchzusetzen. Mit „Wir lassen sie verhungern“ ist dem Mahner Ziegler ist ein wichtiges und aufrüttelndes Buch gelungen.

Jean Ziegler: „Wir lassen sie verhungern. Die Massenvernichtung der dritten Welt“, C. Bertelsmann, München 2012, 320 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-570-10126-1

 

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Angelo Algieri

ist freier Journalist.

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