Am heutigen Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder im Kanzleramt, um über die Zukunft der Energiewende zu beraten. Im Interview mit vorwärts.de spricht Schleswig-Holsteins Regierungschef Torsten Albig über seine Erwartungen und plädiert für eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
vorwärts.de: Welche Erwartungen haben Sie an den Energiegipfel bei der Kanzlerin?
Torsten Albig: Ich erwarte, dass die Bundesregierung zur sachlichen und seriösen Politik zurückkehrt und das Thema Energiewende nicht zu Wahlkampfzwecken missbraucht wird. Es geht um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Bund und Länder müssen sich daher auf die Eckpunkte für einen gemeinsamen Fahrplan für die Energiewende verständigen. Die Länder haben mit ihrem Beschluss von Weimar im letzten Jahr dazu eine gute Grundlage gelegt. Und auch die norddeutschen Bundesländer haben mit ihrem gemeinsamen Papier vom Februar einen konstruktiven Beitrag geleistet. Wer hingegen noch nicht einmal ansatzweise seine Hausaufgaben gemacht hat, ist der Bund. Ich erwarte zudem von der Bundeskanzlerin, dass sie ihr in der Frage der Energiewende heillos zerstrittenes Kabinett endlich zu einer gemeinsamen Position führt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie sehr sich Bundesumweltminister Altmaier und Bundeswirtschaftsminister Rösler gegenseitig blockieren, dann musste man sich nur die vergangene Bundestagssitzung anschauen. Die beiden haben jeden gemeinsamen öffentlichen Auftritt vermieden und sind sich regelrecht aus dem Weg gegangen. Ich erwarte außerdem von der Bundesregierung, dass sie nicht mit immer neuen Vorschlägen die Branche der Erneuerbaren Energien verunsichert. Wer jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf jagt, trägt dazu bei, dass Investitionen zurückgehalten und Arbeitsplätze gefährdet werden. Und das gilt insbesondere für die so genannte Strompreisbremse, die Haushalte gerade einmal um 1,50 Euro im Monat, also um knapp 40 Cent pro Person entlasten würde, aber investitionsbereite Mittelständler zutiefst irritiert.
Was sind Ihre Vorschläge, um den Preisanstieg zu begrenzen?
Erstmal lehnen wir die Vorschläge von Altmaier und Rösler strikt ab. Um die Strompreise auf einem vertretbaren Niveau zu halten, sind sicher mehrere Faktoren wichtig. Wir müssen zum Beispiel die Ausnahmen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die Industrie genauer unter die Lupe nehmen. Sie sind einer der preistreibenden Faktoren. Innerhalb des EEG-Systems werden wir aber nicht alle Probleme lösen können. Wir müssen auch die Strom- und die Mehrwertsteuer mit einbeziehen. Zum anderen ist der Ausbau der Windenergie an Land eine der sichersten Methoden, den Strompreis zu konsolidieren. Der Windstrom gerade aus Schleswig-Holstein, der sehr günstig produziert wird, senkt die EEG-Umlage beträchtlich.
Warum schließen Sie sich nicht den Plänen der Bundesregierung an, die Erneuerbaren Energien zu beschneiden?
Weil es schlicht falsch wäre. Wir müssen aufhören, die Erneuerbaren Energien und die Energiewende schlecht zu reden. Sie ist die Chance für künftige Generationen, regenerative Energien zu nutzen, das Klima zu schützen und ohne Atomenergie zu leben. Ein Ausbremsen des Ausbaus ist kontraproduktiv. Zweitens müssen wir die Energiewende umfassend vorantreiben – Strom- und Wärmeversorgung, Energieeffizienz und Mobilität gehören zusammen. Für den Stromsektor ist vor allem der Netzausbau dringend notwendig. Bei Wärme, Effizienz und Mobilität sind wir noch weit von dem entfernt, was wir erreichen müssen. Dabei gilt nach wie vor die Maßgabe, dass der Netzausbau dem Ausbau der Erneuerbaren Energien folgen muss und nicht umgekehrt.
Die Fronten scheinen verhärtet zu sein. Wie könnte eine Lösung aussehen?
Um die Energiewende weiter voranzubringen, brauchen wir eine Reform des EEG also der Förderrichtlinien der alternativen Energien. Die Fehlsteuerungen im Gesetz müssen beseitigt und auf eine langfristige Steuerung der Energiewende umgearbeitet werden. Einen Eingriff in die Bestandsförderung lehnen wir allerdings strikt ab. Für den Leitungsbau gehören zu einem früher Zeitpunkt alle an einen Tisch: Netzbetreiber, Naturschutz, Bürger und Kommunen. Nur dann besteht die Chance, gute und schnelle Lösungen für den Trassenbau zu finden. Dafür haben wir in Schleswig-Holstein extra ein Energiewendeministerium eingerichtet, in dem alle Fäden zusammenlaufen. Für die Hauptschlagader der Energiewende in Schleswig-Holstein, der Westküstenleitung, läuft ein breit angelegter Dialogprozess. Der Netzbetreiber Tennet und das Land haben sich in einer Vereinbarung auf einen Zeitplan verständigt. Und Tennet macht die Westküstenleitung zum Modellprojekt für eine finanzielle Beteiligung der Bürger am Netz.
Wie sehen das die andere Bundesländer?
Die Kompromissbereitschaft der Länder mit Blick auf das Voranbringen der Energiewende ist schon klar im Beschluss von Weimar festgehalten. Dort haben wir uns darauf verständigt, dass gegebenenfalls die individuellen Ausbauziele der Länder angepasst werden müssen. Wir liegen in Schleswig-Holstein mit dem Ziel in den nächsten Jahren rund 300 Prozent des eigenen Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien zu liefern, aber in einem vertretbaren Rahmen. Immerhin haben wir bis vor ein paar Jahren die Strommenge aus Atomkraftwerken geliefert. Nicht die Menge des erneuerbaren Stroms ist das Problem, schon gar nicht die Menge an Wind. Er senkt die Kosten vielmehr – Ökostrom aus Schleswig-Holstein ist um 3,8 Cent pro Kilowattstunde günstiger als im bundesweiten Durchschnitt. Wir sind aber bereit, Zugeständnisse bei der Höhe der Vergütung für windstarke Standorte zu machen.
Bundeswirtschaftsminister Rösler hat kurz vor dem Treffen angekündigt, den Netzausbau drastisch beschleunigen zu wollen. Für wie realistisch halten Sie die Pläne?
Die von Phillip Rösler angekündigte rechtliche Erleichterung beim Leitungsbau mag eine sinnvolle Überlegung sein. Ich hätte mir nur gewünscht, dass nicht schon wieder eine einzelne Maßnahme in der Öffentlichkeit angekündigt wird, ohne dass wir wissen, ob sie innerhalb des Kabinetts abgestimmt und auch zu verwirklichen ist. Halbgare Vorschläge gibt es aus der Bundesregierung wahrlich schon genug.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.