Diät war gestern. Heute ist Kampf. Interview mit der britischen Feministin und Buchautorin Laurie Penny über Schönheitsfaschismus und Männer, die Dosen öffnen.
vorwärts.de: Was war der Anlass für Sie, das Buch „Fleischmarkt“ zu schreiben?
Laurie Penny: Als mit dem Buch anfing, war ich gerade mal 23. Ich wollte das, was ich in den Jahren zuvor gelesen hatte erweitern und es mit meiner aktiven Arbeit als Feministin und Journalistin in London verbinden. Und ich wollte meine Unzufriedenheit mit einem Teil der neuen Frauenbewegung thematisieren.
Was machte sie unzufrieden?
Ein Teil der Frauenbewegung stellt sich immer weniger den Fragen von Rasse und Klasse, schließt sogar Kritik an Sexarbeit und Verleumdung von Transsexuellen ein. Es wir z.B. behauptet transsexuelle Frauen seien Männer oder verkappte Homosexuelle. Dabei sind das genau diejenigen, die wir unterstützen sollten. Schließlich leben sie an der Frontlinie patriarchal-staatlicher Unterdrückung und kämpfen für ihre Rechte. Es gibt sogenannte Feministinnen die sagen: die Sexindustrie ist das Problem, Sexualität ist das Problem und nicht Sexismus.
Ist Feminismus sex-feindlich?
Ich sehe eine wachsende Prüderie im sogenannten Feminismus, der wunderbar zu rechtsgerichteter Rhetorik passt – wenn wir gegen Pornografie vorgehen, wird alles besser! Das stimmt nicht. Das hat noch nie gestimmt.
Sie sprechen von Körper- und Schönheitsfaschismus, vom „patriarchalen Kapitalimus“, der Frauen unterdrückt. Warum sagen Sie nicht einfach Männer?
Weil es nicht immer die Männer sind, die Frauen unterdrücken. Frauenfeindlichkeit und Sexismus sind strukturell bedingt, gebunden an Systeme von Macht und Profit. Wenn wir die Männer als die einzigen Feinde sehen, machen wir einen gravierenden Fehler. Nehmen wir das Thema Schönheitsfaschismus. Dabei geht es um viel mehr als darum, dass „Männer denken wie Frauen aussehen sollen“. Es geht um die Machenschaften der Schönheitsindustrie, den Konkurrenzkampf zwischen Frauen, um Armut, Reichtum und Sexualität.
Sie haben über einen jungen Mann geschrieben. Er fühlt sich besonders männlich, wenn er gebeten wird, ein fest verschlossenes Marmeladenglas zu öffnen. Wie fanden Sie das?
Hinreißend. Das traurigste an unserer modernen Gesellschaft ist doch, dass wir Männlichkeit als etwas gewalttätiges verstehen, etwas das zu tun hat mit Dominanz, Kontrolle, Hunger nach Macht und Geld, Gier nach Sex und Missbrauch. Ein Ziel der Frauenbewegung ist, Männer sowohl als auch Frauen von repressiven Rollenklischees zu befreien, um uns die Möglichkeit zu geben, unsere Geschlechtsidentität zu genießen, ohne von engstirnige Regeln und Sozialisierung eingegrenzt zu werden. Also: Es ist OK, wenn ein Typ es klasse findet, fest verschlossene Marmeladengläser zu öffnen. Das zeigt, dass wir Männer brauchen, zumindest bis wir einen Roboter haben, der Gläser öffnen kann und Sachen aus den obersten Regalen zu fischen. Und das wäre auch kein Spaß, oder?
Um sich männlich zu fühlen reicht es, ein Marmeladenglas zu öffnen. Weiblichkeit hingegen bedarf hochhackiger Schuhe, schicker Kleider, Make-up. Ist das nicht ungerecht?
Das kommt darauf an. Der Preis, um als Frau akzeptiert zu werden, ist fraglos viel, viel höher. Die Regeln von Schönheit und Mode, das Dickicht der sozialen Regeln, Diätwahn, Angst vorm Altern, Schönheitsoperationen – von Frauen wird sehr viel mehr Selbstkontrolle und Anpassung an die gängigen Normen erwartet als von Männern. Wir müssen ständig aufpassen, dass wir nicht aus der Reihe tanzen. Immer wenn ich das schreibe, bekomme ich Kommentare von Männern, die sich finden, sie seien ebenso schlecht dran, weil sie nicht so attraktiv sind wie Daniel Craig, oder weil sie ab und zu ein paar Pickel haben. Natürlich leben wir in einer Gesellschaft in der jeder sich um sein Aussehen sorgt. Aber es ist nicht das gleiche.
Riot, don't diet ist der Rat in Ihrem Buch. Sollten wir am Frauentag loslegen?
Lacht. Für mich bedeutet das: Wir sollten aufhören uns selbst verändern zu wollen und stattdessen anfangen die Welt zu verändern. Wenn wir Frauen unglücklich sind, dann lassen wir es an uns aus. Wir hungern oder ziehen uns in unser privates Unglücks-Universum zurück. Aber wirkliche Macht und Erfüllung erreicht man nicht, indem man zehn Pfund abnimmt oder sich die Nägel lackiert. Sie kommt von Solidarität, vom der Kraft, ein besseres Leben für uns alle zu fordern und vom Kampf, um es zu erreichen. Also: Riot, don’t diet!
Info: Laurie Penny wird am Donnerstag in der Berliner Friedrich Ebert Siftung anlässlich des Frauentages mit Urvashi Butalia und Merle Stöver diskutieren. Aufschrei! Gemeinsam gegen Gewalt gegen Frauen
Laurie Pennys Buch "Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus" ist 2012 in der Edition Nautilus erschienen. ISBN 978-3-89401-755-2