Kultur

Gott ist ein DJ

von ohne Autor · 26. Juli 2013

Kaspar Hauser als durchgeknallter DJ in einer Welt aus Sand und Meer: Der italienische Filmemacher Davide Manuli pflegt einen ganz eigenen Blick auf den wohl bekanntesten Sonderling der Geschichte.

Abgebrühter Scharlatan? Visionärer Bürgerschreck? Oder ein Opfer politischer Intrigen? Leben und Wesen von Kaspar Hauser, dem Prototypen des geltungssüchtigen Freaks, der vor 185 Jahren in Nürnberg die Bühne der Weltgeschichte betrat, füllt mehrere Bibliotheken. Auch in der Filmwelt hat Hauser Spuren hinterlassen, nicht zuletzt in „Jeder für sich und Gott gegen alle“. Jene dicht an der volkstümlichen Überlieferung angelehnte Adaption brachte Regisseur Werner Herzog vor 39 Jahren den Großen Preis der Jury in Cannes ein.

Ob ähnliche Weihen für „The Legend Of Kaspar Hauser“ zu erwarten sind, wird sich zeigen.
Manuli ist angetreten, sich von all dem Ballast der Hauser-Rezeption zu befreien. „Wenn man versucht, mit der kurzen Lebensdauer von Kaspar Hauser umzugehen, sind die beiden am häufigsten verwendeten Wörter Rätsel und Geheimnis“, so der 46-Jährige.

Der Mangel der Elemente erkläre und definiere die Ereignisse der Geschichte. Manuli wolle dem Ganzen die Wörter „surreal“ und „Fantasie“ hinzufügen. Anstelle einer minutiösen Rekonstruktion dessen, was war oder gewesen sein könnte, geht es ihm darum, Archetypen und Metaphern „in einer stressfreien poetischen Weise neu zu interpretieren“.

Techno und Western

Dafür nimmt sich Manuli denkbar viele Freiheiten: Als wollte er dem Inneren des Phänomens Hauser gerade dadurch näherkommen, dass er die Geschichte in Sachen Erzählweise und ästhetische Grundgestalt von allem Gewesenen entrückt. Dafür siedelt er die Geschichte als technolastige Western-Performance auf einer fiktiven Insel an, mitten in einem fiktiven Ozean – und natürlich auf einem fiktiven Planeten.

Ist es ein Ufo oder nur ein Schatten? In der ersten Szene erleben wir den örtlichen Drogenhändler, der einen beschwörenden Tanz im weiten Inselsand vollführt, während jener dunkler Schleier über ihn hinwegzieht. In seiner konsequent weißen Kluft inklusive Cowboyhut wirkt er wie eine Kreuzung aus John Travolta zu besten 70er-Disko-Zeiten und Helge Schneider alias Doc Snyder. Keine Frage: Vincent Gallo, eine der eigenwilligsten und skandalträchtigsten Filmakteure der letzten Jahrzehnte, macht diesen Pusher zum Ereignis – so wie auch den Sheriff des einzigen Inseldorfes, den er ebenfalls verkörpert. Natürlich bekämpfen sich die beiden bis aufs Blut. Nach Kaspar Hausers (Silvia Calderoni) Ankunft wird eine neue Eskalationsstufe des Kleinkriegs erreicht.

Herrscher in Jogginghosen

Manch einem Insulaner schwant, dass das komische Wesen, das das Meer ans Land gespült hat, der verschollene Thronerbe des abgelegenen Inselreichs ist. Der Sheriff nimmt sich seiner an, sperrt ihn zunächst aber fürsorglich in einen Käfig. Dafür ist dieser Hauser mit dem gut lesbaren Namenslogo auf der Brust einfach zu durchgeknallt: Das dürre androgyne Wesen in Jogginghosen zuckt wie ein Epileptiker und kann Töpfe per Telepathie bewegen. Wenn es stressig wird, entfährt seinem Mund weißer Schleim.

Vor allem aber verzehrt er sich danach, endlich wieder sein Soundsystem anzuschmeißen. Bis es soweit ist, bleiben die Kopfhörer auf den Ohren und der Rest ist Einbildung. Fortan quetschen ihn der Sheriff und weitere Führungsfiguren der völlig überforderten Einöde-Gemeinschaft aus, um zu ergründen, wer er denn nun ist. Ein Gott? Oder ein König? Hauser will nichts davon sein, sondern einfach nur auflegen. Und vielleicht auch etwas von jener quasireligiösen Hingabe genießen, die zeitgenössischen DJ-Größen zuteil wird. Aber wie soll er das diesen Dorfmenschen erklären, die nichts anderes kennen und wollen als ihre kleine Gemeinschaft? Stattdessen, als wollte er seine Umgebung zwingen, ihr Augenmerk auf seine Individualität zu richten, skandiert er immer wieder gellend einen Satz vor sich hin: „Ich bin Kaspar Hauser!“.

Doch all das nützt am Ende gar nichts. Die missgünstige Gräfin, also die erste Dame am Platz, hält den geheimnisvollen Heimkehrer vor allem für einen unangenehmen Konkurrenten. Also hetzt sie ihm den Pusher auf den Hals, um ihm den Garaus zu machen. Dass sie ihm dadurch die wahre Erfüllung ermöglicht, ahnt sie nicht.

Wer einen sich behutsam aufbauenden und schlüssigen Erzählflusses bevorzugt, wird mit dieser experimentellen Regiearbeit kaum glücklich. Wer sich aber auf diesen unaufgeregten und in der Tat poetischen Rausch mit dem Charme der Improvisation einlässt, fragt sich am Ende, ob nicht gerade die extreme Verfremdung die Augen für ein Phänomen öffnen kann – sei es nun, dass darüber alles gesagt schien oder das genaue Gegenteil der Fall war. Von dem grotesken Sog, den die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von den endlosen Weiten des Drehortes Sardinien mit den elektronischen Sounds des französischen Techno-Tüftlers Vitalic entfalten, gibt es ohnehin kein Entrinnen.


Info: The Legend Of Kaspar Hauser (La Leggenda di Kaspar Hauser) (Italien 2012), ein Film von Davide Manuli, mit Vincent Gallo, Silvia Calderoni, Claudia Gerini, Elisa Sednaoui u.a, 95 Minuten. Ab sofort im Kino


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