Die Länderreise von Peer Steinbrück geht weiter. Am Donnerstag besuchte er Hamburg. In seiner Heimatstadt traf er alte Bekannte und erlebte eine Überraschung.
Um Peer Steinbrück sprachlos zu machen, braucht es einen orangefarbenen Kasten, etwa so groß wie zwei nebeneinander gestellte Schuhkartons. Wobei es weniger der Kasten selbst ist, der dem SPD-Kanzlerkandidaten die Sprache verschlägt, als vielmehr die Art und Weise, wie seine Entwicklung finanziert wurde. "Die 200 000 Euro Startkapital haben wir über das Internet eingesammelt", erzählt Christopher Blum, "innerhalb von 48 Minuten".
Blum ist Mitentwickler des "Protonet". So heißt der orangefarbene Kasten, dessen Aufgabe es ist, Computerdaten überall verfügbar zu machen, ohne dass der Nutzer sie anderen Anbietern wie Google oder Dropbox zur Aufbewahrung überlässt und damit ihre Sicherheit preisgibt. "Wir bauen die verteilte, persönliche Cloud, die die Vorteile der Erreichbarkeit mit absoluter Datenkontrolle verbindet", werben die Erfinder.
Besuch am kolaborativen Arbeitsplatz
Protonet ist eins von vier Startup-Unternehmen, die Peer Steinbrück am späten Donnerstagnachmittag trifft. Bei seiner Länderreise ist er bei Station sieben angelangt: in Hamburg, seiner Heimatstadt. Im "betahaus", wo er auf Protonet und seinen Schöpfer Christopher Blum trifft, ist Steinbrück zuvor noch nicht gewesen. Es handelt sich dabei um einen "kolaborativen Arbeitsort": Menschen, die kreative Ideen haben, können hier einen Schreibtisch mieten und arbeiten. Das spart die Kosten für ein eigenes Büro.
In den hellen Räumen stehen Ikea-Regale, darin steht "Der neue Hacker's Guide" neben Dieter Nuhrs "ultimativem Ratgeber für alles". An der Bar gibt es Latte Macchiato und Club Mate. Peer Steinbrück bestellt ein Glas Wasser. "Viel zu wenig Leute in Deutschland machen sich selbständig - und zwar aus Angst", sagt Ruben Schmidtmann. Er ist Geschäftsführer des betahauses und der einzige aus seinem Freundeskreis, der sich selbstständig gemacht hat. "Dafür werde ich oft schief angeguckt." Viele hätten Angst vor sozialer Unsicherheit. Die Voraussetzungen, um in die Versicherung zu kommen, seien oft zu hoch.
Klartext in der Handwerkskammer
Den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben die Macher der "Three-Headed Monkeys". "Uns nervt Inhaltsleere", stellen sie sich Peer Steinbrück vor. Es gehe ihnen "um die Kraft von Geschichten". Sie beraten in diesem Bereich Unternehmen, damit deren Werbebotschaften ankommen. Was sie denn der SPD raten würden, will ein Journalist wissen. "Sie sollte mehr Geschichten erzählen und etwa sagen, wo man das Wir im neuen Slogan erleben kann."
Peer Steinbrück erlebt es etwa eine Stunde später im großen Saal der Hamburger Handwerkskammer. Er ist gekommen, um "Klartext" zu reden. So lautet der Titel der Reihe, in der er den Bürgern Rede und Antwort steht. Es ist ein Heimspiel für den Kandidaten. Er winkt und grüßt, viele im Saal scheint er zu kennen. In der ersten Reihe sitzen Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, ihm im Rund gegenüber der frühere "Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert. Und mittendrin steht Peer Steinbrück.
Europa und das Wahlalter
Kurze Fragen, klare Antworten, dumme Fragen gibt es nicht. So lauten die Regeln. Wie er Europa aus der Krise führen wolle, will ein Mann wissen, was er vom Wahlrecht mit 16 halte, fragt ein Schüler. Steinbrück lamentiert nicht herum, sondern antwortet gerade heraus. "Sparen allein hilft uns nicht weiter", sagt er zu Europa. Es müssten auch die Banken reguliert und das Wachstum dürfe nicht vernachlässigt werden. Und er hätte "keine Einwände" wenn auch 16-Jährige bereits an der Bundestagswahl teilnehmen würden.
So geht es munter weiter. Drei Fragen, drei Antworten. Nach knapp zwei Stunden hat Peer Steinbrück einen bunten Strauß an Themen gestreift von Steueroasen ("Ich habe die Kavallerie nur erwähnt, die USA haben sie ausrücken lassen.") bis zum NSU-Prozess ("Ich halte einen Neustart für richtig, damit türkische Medien daran teilnehmen können."). In der kommenden Woche geht die Länderreise in Niedersachsen und Thüringen weiter. Vorher steht aber erst der Parteitag in Augsburg auf dem Programm. Auch da erwartet die SPD von Steinbrück: Klartext.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.