Kultur

Von Kohlearbeitern und Jobcenter Drohnen

von Birgit Güll · 29. April 2013

Zu seinem 50. Geburtstag zeigt das Haus am Lützowplatz Werke aus der Kunstsammlung der SPD und beleuchtet das Thema Arbeit. Der Großteil der gezeigten Bilder ist in den 1920ern entstanden, doch die Jubiläumsschau „Streitobjekt Arbeit“ öffnet Blickachsen in die Gegenwart.

Arbeit. Vielen ist sie weit mehr als nur Broterwerb, sie definieren sich darüber. Anderen ist der bezahlte Job unerreichbares Heilsversprechen. Wer keine Arbeit haben möchte, gilt als Faulenzer. Diesem Spannungsfeld widmet sich die Ausstellung „Streitobjekt Arbeit“. Im Berliner Haus am Lützowplatz sind 60 Arbeiten aus der Sammlung Willy-Brandt-Haus zu sehen. Die ausgewählten Objekte kreisen um das Thema Erwerbsarbeit, die meisten sind in den 1920ern entstanden. Kunst aus einer Zeit, die geprägt ist von der Industriearbeit. Kunst, die ihren Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft leisten wollte. Die Kuratorin der Schau, Maren Ziese, fragt nach der Relevanz dieser Bilder für die Gegenwart.

Von Arbeitsorten und sozialen Nöten

Ziese hat die Werke thematisch gruppiert und als Bildergeschichte inszeniert. Am Anfang steht die Antithese dieser Arbeitsausstellung: Das erste Werk, direkt am Eingang ist ein Freizeit-Bild. Es heißt „Wochenende“ (Georg Siebert, 1928) und zeigt ein Paar beim Picknicken und Faulenzen im Grünen. Ausgehend davon präsentiert Ziese Bilder der Arbeitsorte, der Fabriken. Die arbeitenden Menschen rücken auf jenen Gemälden in den Fokus, die den Arbeitsweg darstellen. Wie sehr sind die Werktätigen geprägt von ihren Tätigkeiten und Arbeitsorten? Conrad Felixmüller zeigt Kohlearbeiter, denen die harte Arbeit ins Gesicht geschrieben steht. Auf Oskar Nerlingers Bild „Werkstatt“ (1930) sind gesichtlose, einheitlich gekleidete Menschen Teile eines funktionierenden Getriebes – eingespannt in kapitalistische Produktionsprozesse, von Individualität keine Spur.

George Grosz macht mit seiner „Arbeiter/Arbeitsloser“ betitelten Zeichnung deutlich, dass die beiden Begriffe zwei Seiten einer Münze sind. Wenige Schritte weiter eröffnet sich das nächste Themenfeld der Schau. Hier hängen Arbeiten, die soziale Missstände als Konsequenz von Arbeitslosigkeit darstellen: Hunger, Erschöpfung, Verzweiflung. Das bunt leuchtende Bild „Die Pfändung“ (Karl Holtz, 1924) zeigt eine Frau und ein Mann die ihre Wohnung verlassen müssen, sie tragen einen Kindersarg. Auf der Lithographie „Heimarbeit“ (1925) von Käthe Kollwitz wischt eine Frau sich erschöpft die Stirn.

Ist der revolutionäre Impuls verpufft?

Die gezeigten Bilder sind nicht bloße Dokumentation der gesellschaftlichen Realität. Sie wollen Wirkung entfalten und blasen zum Aufbruch. Es geht um die politische Aktivierung des Betrachters. So ist der Arbeitskampf genau wie das Elend künstlerisch verarbeitet. Und nun? Die meisten der Bilder in der Schau sind fast hundert Jahre alt. Ist ihr revolutionärer Impuls verpufft? Die Industriegesellschaft hat sich zur Dienstleistungsgesellschaft entwickelt. Wir haben die Grubenlampen gegen Computermäuse eingetauscht, die Bergarbeiterkluft gegen das Businesskostüm. Und doch sprechen die Bilder im Haus am Lützowplatz immer noch zu einer Gesellschaft der Werktätigen.

Die gezeigten Exponate sind viel mehr als eine Nabelschau des Arbeitskampfes. Die Kuratorin stellt eine Brücke in die Gegenwart her. Sie hat die Ausstellung „Hartz4Arts“in die Studiogalerie des Hauses am Lützowplatz geholt. „Sind arbeitslose Künstler arbeitslos oder Künstler?“, fragt A La Negra auf einem Papierkärtchen. Auf einem anderen steht „Von Montag bis Sonntag arbeiten“.

Die langzeitarbeitslosen Schöpfer der Schau „Hartz4Arts“ thematisieren die zeitgenössische Arbeitswelt. Sie können von ihrer Kunst nicht leben und sie leben die dichotome Teilung in Arbeit und Freizeit nicht. Der Künstler Alexei Brykowski hat ein HartzIV-Mobile geschaffen. Steht man darunter, schwebt eine „Jobcenter Drohne“ aus Pappe um den eigenen Kopf. Auf einer großen Münze aus Karton steht „1-Euro-Job“ und auf einem herabhängenden Pappemesser steht „Sanktion“. „...World Job Center World Job Center...“ heißt die Arbeit des 1985 geborenen Künstlers und Diplom Biochemikers.

Können Künstler eine neue Vision einer Gesellschaft der Tätigen statt der Arbeitenden entwerfen? Diese Frage stellt die Schau und ist damit gleichsam unbequeme wie wichtige Ergänzung der Ausstellung „Streitobjekt Arbeit“.

Zeitgemäßer Diskurs

Zur Eröffnung der Ausstellung, am 25. April, wurde das 50. Jubiläum des Hauses und das 150. der SPD gefeiert. Karin Pott, die langjährige Künstlerische Leiterin, verabschiedete sich mit einer Festschrift. Ihr Nachfolger Marc Wellmann übernimmt nun die Geschicke des Hauses am Lützowplatz. Die SPD – unter Federführung von Willy-Brandt – und die IG Metall haben den Kunstförderverein gegründet. „Als Mäzenatentum der Arbeiterklasse wurde das bezeichnet“, sagt Klaus Wowereit, Berlins Regierender Bürgermeister, in seiner Rede zur Jubiläumsschau.

Er erinnert an dem Abend auch an die dunkle deutsche Geschichte. Mit der Machtübertragung an Adolf Hitler begann 1933 die Verfolgung und Vernichtung von Andersdenkenden und von Juden. Viele der Künstlerinnen und Künstler, die in der aktuellen Schau zu sehen sind, sollten nach dem Willen der Nationalsozialisten für immer aus dem kollektiven Gedächtnis dieser Gesellschaft verschwinden. Die SPD, die ihre 1933 zerschlagene Kunstsammlung 1996 neu begründete, sammelt unter anderem Werke dieser Verfemten der Klassischen Moderne. Die wunderbare Schau im Haus am Lützowplatz präsentiert sie der Öffentlichkeit und zeigt, wie zeitgemäß der Diskurs ist, den diese Bilder heute anstoßen können.

„Streitobjekt Arbeit. Kunstwerke aus der Sammlung im Willy-Brandt-Haus“, Haus am Lützowplatz, 26. April bis 30. Juni

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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