Kultur

Mit 45 schon altes Eisen

von Vera Rosigkeit · 12. Februar 2008

Der Bremer Arbeitswissenschaftler Wolfgang Hien hat IT-Beschäftigte nach ihren Arbeitsbedingungen gefragt. Bis auf zwei arbeiten die Befragten, die zwischen 45 und 65 Jahren alt sind, in Mittelstandsunternehmen, denn In der IT-Branche dominieren klein- und mittelbetriebliche Strukturen.

Auch in der als innovativ geltenden IT-Branche werden die Mitarbeiter älter. Im Jahr 2015 lag der Anteil der über 50-Jährigen an der Belegschaft bei 40 Prozent. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Auf diese Entwicklung ist die Branche nicht vorbereitet. Informatiker, Software-Entwickler und Ingenieure gehören schon mit dem ersten grauen Haar zum alten Eisen.

Gesundheitsprobleme

In der arbeitswissenschaftlichen Diskussion wird zuweilen die These vertreten, die großen Handlungsspielräume der IT-Beschäftigten wirken gesundheitsfördernd. Für viele IT-Fachleute bedeutet diese Verantwortung eine Intensivierung der Arbeit. Viele fordern sich selbst viel zu viel ab, leiden unter Burnout, werden depressiv oder auf andere Weise krank. Die Hälfte der in der Studie "Arbeit, Altern und Gesundheit - Arbeits- und Laufbahngestaltung bei älteren, gesundheitlich beeinträchtigten IT-Fachkräften" befragten IT-ler hatten in den letzten Jahren ernsthafte Gesundheitsprobleme: Herzinfarkt, Krebserkrankung, Allergie, Krampfleiden und Depressionen.

Projektarbeit lässt weniger Raum für Erholzeiten. Die Anspannungszustände dauern wesentlich länger, manchmal mehrere Monate. In der Folge können die Beschäftigten kaum noch richtig abschalten. Das Gefühl, die Arbeit nicht schaffen zu können, belastet zunehmend.

Jugendkult

Und die junge IT-Branche setzt weiter auf Jugendwahn. Wer mit 45 nicht ins Management aufgestiegen ist, muss mit Mobbing durch jüngere Kollegen oder Vorgesetzten rechnen. "Wer graue Haare kriegt, ist out", kritisiert Hien. "Mit 45 beginnt dort die Angst, entlassen oder gemobbt zu werden. Und diese Angst macht krank".

Zu wenig Investition in die Zukunft

Dabei ist längst klar, dass auch sie auf einen deutlichen Fachkräftemangel zusteuert. Statt Fachwissen kontinuierlich aufzufrischen, wird für sie die Weiterbildung zurückgefahren. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist zwischen 2002 und 2006 der Anteil der Betriebe mit Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte von 19 auf 17 Prozent gesunken. In der schnell lebigen IT-Branche macht sich dies leicht bemerkbar: Fachwissen veraltet rascher. Statt die besonderen Erfahrungen älterer Arbeitnehmer zu nutzen und durch Qualifizierung aufzubessern, werden die Probleme in den meisten Unternehmen ignoriert.

Unternehmer im Unternehmen

In den letzten Jahren folgte in der Branche eine Rationalisierungswelle der nächsten. Hien spricht von "brutalisierten Arbeitsbedingungen". Die Arbeitssituation ist von Unsicherheit geprägt. Der Eigentümer des Betriebes kann sich ändern, der Auftrag an Fremdfirmen vergeben werden. Auch kann sich ein Projekt als überflüssig erweisen, wenn die Konkurrenz schneller war. Der Druck des Markts wird an den einzelnen Beschäftigten weitergegeben. Das Arbeitsverhältnis wird mehr zum Verhältnis "Dienstleister gegenüber Kunde", um so scheinbar aus dem Arbeitnehmer einen "Unternehmer im Unternehmen" zu machen. Dem jeweiligen Markt-Segment, in dem das Unternehmen tätig ist, wird oft ein Unternehmens-Segment gegenübergestellt. Aufgaben, Aufträge und Ausstattung werden vom einzelnen Beschäftigten fast nur noch nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip betrachtet.



Ziel der "explorativen Studie" von Wolfgang Hien ist es, Fragestellungen für weitergehende Forschungen auszuarbeiten und Hinweise für die betriebliche Praxis zu geben. Hien zieht aber auch erste Schlussfolgerungen: Der Jugendkult trägt Merkmale der Maßlosigkeit.

Eine neue Arbeitskultur ist nötig

Dagegen fordert Hien die Wertschätzung der Möglichkeiten und Fähigkeiten älterer Mitarbeiter. Es wäre ein Weg geöffnet für "ein menschliches Maß, d. h. für würdevollere und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen in dieser Branche". Um den IT-Beruf nachhaltig gesundheits- und alternsgerecht zu gestalten, ist eine neue Arbeitskultur ist überfällig,

Marcus Schwarzbach ist Berater für Personal und Ausbildungsfragen in Kassel und schreibt für die Führungskräftezeitschrift Arbeitsrecht im Betrieb, Computer und Arbeit.

Wolfgang Hien u.a.: "Irgendwann geht es nicht mehr"

Älterwerden und Gesundheit im IT-Beruf

144 Seiten; EUR 11.80

ISBN 978-3-89965-297-0

Verlag: vsa-verlag

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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