Kultur

„Irgendwie ungerecht“

von Vera Rosigkeit · 19. März 2008

Im Jahr 2007 machte sich Empörung breit. Der UN-Berichterstatter Vernor Munoz appellierte an die Bundesregierung, dass in Deutschland immer noch übliche mehrgliedrige Schulsystem, das er als sehr selektiv und diskriminierend tadelte, "noch einmal zu überdenken". Sechs Jahre zuvor hatte die erste PISA-Studie ebenfalls für Empörung gesorgt, weil sie in ihrem Ergebnis zu dem Schluss kam, dass die Chancen eines Arbeiterkindes in Deutschland ein Gymnasium zu besuchen, viermal geringer sei als die eines Kindes aus der Oberschicht.

Wunder und bildungsferne Kinder sind ausgeschlossen

Der Aufstieg durch Bildung in Deutschland ist nahezu unmöglich. Dies wiederum ist keine wirklich neue Erkenntnis, schreibt dazu der Autor des Buches "Das Bildungsprivileg", Bruno Preisendörfer. In einer kleinen Geschichte der Chancengleichheit vom Sputnik- bis zum PISA-Schock, verknüpft mit seinem eigenen Bildungsverlaufs, den der Autor als katholisches Arbeiterkind vom Lande 1963 beginnt, wird eines deutlich: Kinder aus bildungsfernen Familien, so genannte Bifs, sind bis heute auf Zufälle angewiesen, um "entdeckt und gefördert" zu werden. Preisendörfer: "Wenn durchschnittlichen Bif-Kindern die gleichen Chancen eingeräumt werden wie durchschnittlichen Kindern aus bildungsnahen Schichten, grenzt das schon an ein Wunder."

Aussortieren statt fördern

Denn nicht die Begabtenförderung steht im Mittelpunkt des deutschen Bildungssystems, sondern Auslese, um soziale Unterschiede zu verfestigen, behauptet der Autor mit Verweis auf Jürgen Kluge, ehemaliger McKinsey-Berater. Kluge erklärte, das mit Sorgfalt darauf geachtet würde, "das von denjenigen, die qua Geburt dazugehören, keiner zu kurz kommt, während die Abschließung gegen diejenigen, die aus dem gleichen Grund nicht dazugehören, fester und fester wird." Bestätigt wird dies durch den Leiter der deutschen Sektion der IGLU-Studie, Wilfried Bos, wenn er als ein Ergebnis der PISA-Studie feststellt, dass die Übergangsempfehlungen zur weiterführenden Schule "oft wenig mit den Fähigkeiten der Schüler zu tun haben."

Immer mehr Privatschulen

Wie sonst lässt es sich erklären, dass zeitgleich zur Forderung nach besseren Bildungschancen als Resultat auf die PISA-Ergebnisse ein Boom der Privatschulen und konfessionellen Gymnasien zu verzeichnen ist.

Während bei den Bestverdienern schon längst eine regelrechte Flucht vor staatlichen Schulen eingesetzt habe, machen sich gut verdienende Mittelschichteltern Sorgen, "ob ihre Kinder es in die Elite schaffen, wenn sie mit der Masse die Schulbank drücken", beschreibt Preisendörfer weiter. Wer seine Kinder auf Privatschulen schickt, "kann sicher sein, dass auch das Volk ferngehalten wird. Auch vor dem Schlechtdeutsch der Fremdlingskinder, von deren Migrationshintergund immer so artig gesprochen wird, kann man die eigenen behüten. Dahinter steckt kein Rassismus, sondern ganz normaler Mittelschichtsegoismus."

Privatschulprivilegien auf Kosten aller

Politisch wird diese Selektion unterstützt, indem diese Privatschulprivilegien für Wenige vom Steuerzahler mitfinanziert werden. Die staatlichen Zuschüsse belaufen sich auf bis zu 80 Prozent der Ausgaben. 30 Prozent des Schulgeldes können Eltern als Sonderausgaben Steuer mindernd geltend machen, inklusive Bauzuschüsse aus dem Bundesprogramm zum Ausbau der Ganztagsschulen. Preisendörfers Frage, "warum konfessionelle beziehungsweise private Erziehung von der Allgemeinheit mitfinanziert wird, während der Staat seine eigenen Schulen verkommen lässt" ist mehr als berechtigt. Seine Antwort: "Die ganze Sache läuft auf das alte Spiel hinaus: Privatisierung der Gewinne - Sozialisierung der Verluste; die Ausbildungsvorteile will jeder für sich genießen, die Ausbildungskosten soll die Allgemeinheit tragen."

Für eine neue Bildungsbewegung

Was muss nun aber geschehen? Der Staat habe die Aufgabe, Bildung bereitzustellen und bestehende Angebote zu reorganisieren. Preisendörfer räumt jedoch ein, dass pädagogische Erneuerung nicht reicht, "um soziale Benachteiligung zu bekämpfen." Vorangehen müsste eine politische Auseinandersetzung über Ungleichheit und Ungleichbehandlung, eine Bildungsbewegung, die ihr Vorbild in der Frauenbewegung hat.

Und was tut derweil die Politik?

Sie wartet auf eine neue PISA-Studie, könnte man meinen. Der Verdienst dieses Buches über Chancengleichheit ist, dass der Autor die vermeintlichen Empörungen des Bürgertums über Bildung für alle als das entlarvt, was sie wirklich sind: "Bloße Besitzstandswahrung ihres Bildungsprivilegs für den eigenen Nachwuchs". Denn da wo neue Kinder hinzukommen, so Preisendörfer, ist für andere kein Platz. Also bleibt das Bildungsprivileg in den Händen derer, die es sich leisten können in zunehmenden Maße ihre Kinder "mit etwas besserem als den staatlichen Schulen zu versorgen".



Bruno Preisendörfer:

Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist

192 Seiten, 16,95 Euro,

Eichborn-Verlag

Frankfurt 2008

ISBN 9783821856995

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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