Kultur

Mehr als ein Medienhype?

von Dagmar Günther · 4. März 2008

Interessanter fände er es, sich etwa über Afghanistan zu äußern, ließ Jonathan Littell gleich zu Beginn über Daniel Cohn-Bendit ausrichten. Nun war das Publikum allerdings gekommen, um den Autor über seinen viel diskutierten Roman sprechen zu hören. Und so ließ er sich - mehr als zurückhaltend - darauf ein, ein paar Sätze dazu zu sagen. Denn eigentlich sei er der Meinung, dass ein Buch, sobald es veröffentlicht ist, ein eigenes Leben führe.

Aus Tätersicht

Was Littell in "Die Wohlgesinnten" erzählt, sind die fiktiven Lebenserinnerungen des SS-Offiziers Max Aue. Detailreich beschreibt er die Schoah aus Tätersicht. Und während Max Aue, Sohn einer französischen Mutter und eines deutschen Vaters erdacht ist, sind die Nazi-Größen, die er trifft, real. Littell hat sein großes historisches Wissen in den Roman verpackt. Er beschreibt die entsetzlichen Details der Vernichtungsmaschinerie Holocaust.

Allerdings sind diese Tatsachen nicht neu. Neu ist die fiktive Täterperspektive, die der jüdische Schriftsteller wählt. Er sei hier bei Hannah Arendts These, die den Nationalsozialismus als Möglichkeit des Menschen sieht, erläuterte der Autor. Und so ist Max Aue kein Monster auf den ersten Blick. Er spricht die Leser auch gleich in der ersten Zeile des Buches als seine "Menschenbrüder" an. "Hört mal, wenn ich es euch doch sage: Ich bin wie ihr!" heißt es später im Buch.

Littell präsentiert einen hoch gebildeten Täter, jemanden der die erlebten Situationen klar sieht. Und doch hielt er es für nötig, den schwulen SS-Offizier mit perversen Neigungen auszustatten. So unterhält er ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Schwester.



Keine Reue


Was den Leser laut Littell störe, sei die Tatsache, dass Max Aue keinerlei Reue empfindet. "Ich bereue nichts: Ich habe meine Arbeit getan, mehr nicht", lässt er Aue im Buch sagen. Aber schließlich, so Littell im Berliner Ensemble, sei das kein Problem der Täter, die Kinder der Täter hätten die Probleme damit. Sie kämpften mit der Aufarbeitung der Verbrechen.

Allerdings ist das nicht alles, was beim Leser Verstörung hervorruft. Auch die detailreichen, blutrünstigen Tötungsszenen schrecken ab. Was beim Lesen irritiert, ist für Littell allerdings nur Grammatik: Schreiben sei Arbeit mit Sprache, und so sei eine Leiche während dieses Prozesses lediglich eine grammatikalische Form, erklärte er im Berliner Ensemble knapp.

Ob "Die Wohlgesinnten" hierzulande ein ähnlicher Erfolg wird wie in Frankreich, bleibt fraglich. Der Skandal um das Buch ist jedenfalls wohl kalkuliert. Es bleibt abzuwarten, ob es zu mehr als einer medialen Aufregung taugt. Denn letztlich stellt sich die Frage, ob eine fiktive Täterfigur wie Max Aue zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus beitragen kann.

Birgit Güll

Johnathan Littell. "Die Wohlgesinnten" Berlin Verlag, Berlin 2008, 1383 Seiten. 36 Euro, ISBN 978-3-8270-0738-4

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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