Kultur

Prosa statt Lyrik

von Dagmar Günther · 4. Juli 2008

Amoz Oz, der international wohl bekannteste lebende israelische Autor ist mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main und dem Prinz-von-Asturien-Preis ausgezeichnet worden. In diesem Jahr hat er den Stefan-Heym-Preis erhalten und der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf wird am 13. Dezember, pünktlich zum 211. Geburtstag Heinrich Heines, noch hinzukommen.

Von einem solchen Mann erwartet man Besonderes, aus allem anderen Herausragendes. Ein neuer Blick auf die politischen Prozesse der Zeit könnte das sein, eine Geschichte um Beziehungen zwischen Israelis und Bewohnern angrenzender arabischer Staaten. Schließlich ist Oz Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung. Auch in die Besonderheiten des Lebens in Israel könnte er uns tiefere Einsichten vermitteln.

Innenansicht von Literatur

Sein neues Buch : "Verse auf Leben und Tod" handelt von einem Schriftsteller, der seinen Lebensunterhalt hauptsächlich als Steuerberater verdient. Zeit, über die Figuren eines zukünftigen Buch nachzudenken findet er vor, während und nach einer Lesung. Anregungen liefert ihm die Umwelt, wo immer er sich auch gerade befindet. Der Anblick des sich unter ihrem Rock abzeichnenden, ihr Gesäß asymmetrisch umschließenden Slips einer ihn in einem Cafe bedienenden Kellnerin reizt seine sexuelle Phantasie. So wird sie ihm zur Gesellin eines vermögenden Mädchenaufreißers. Die seinen Text bei der Lesung vortragende zarte junge Frau inspiriert ihn in noch ganz anderer Weise. Der offensichtliche Widerspruch zwischen ihrem professionellen Vortrag und der Ängstlichkeit im persönlichen Umgang lässt ihn eine eigene Romanze mit ihr erdichten. Tatsächlich wird er sie bis zu ihrer Tür begleiten und Weiteres könnte sich anschließen.



Verschmelzen von Traum und Wirklichkeit


Während der Schriftsteller der jungen Frau von seinem Leben und Schaffen erzählt, verschwimmen in diesem Erzählen die Grenzen zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte. Diejenigen, die an der Lesung seiner Texte teilgenommen haben, sind bereits zum Teil dieses doppelten Lebens geworden. Er hat sich Gesichter eingeprägt, verschiedenen Physiognomien Schicksale zugesellt und diese miteinander verknüpft.



Wie in jedem anderen Land


Vielleicht ist auch gerade das eine Besonderheit, die Oz auszeichnet. Seine Figuren könnten überall leben. Es sind ganz einfach Menschen, die ihre Sehnsüchte und Probleme haben, Schmerzen erleiden, die arm, jung und unglücklich oder reich, von strotzender Manneskraft und plötzlich krank und hilflos im staatlichen Krankenhaus der Zeitnot, den Launen oder der Fürsorge der Pflegenden ausgeliefert sind. Wir sind alle Menschen und wir brauchen einander. Das ist letztlich die Botschaft.

Dorle Gelbhaar

Amoz Oz: "Verse auf Leben und Tod", Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, SuhrkampVerlag 2008, 16,80 Euro, ISBN 978-3-518-41965-6

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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