Mit über 40-jähriger Verspätung erlebte Werner Bräunigs "Rummelplatz" doch noch sein Debüt. Bereits 1960/61 hatte Bräunig mit der Arbeit zu seinem Roman begonnen. Er beschreibt darin die
Nachkriegsjahre in Ost und West, insbesondere das Leben und Arbeiten in der Wismut AG. Da er selbst dort für kurze Zeit beschäftigt war, konnte er Selbsterlebtes schriftstellerisch verarbeiten.
Schon beim geplanten Vorabdruckes des Romans 1965 war er harsch kritisiert worden. "Beleidigung der Werktätigen und der sowjetischen Partner" lautete der Vorwurf im Zuge des 11. Plenum des
Zentralkomitees der SED. Es endete schließlich mit dem Verbot des Romans.
Von diesem Konflikt erholte sich Bräunig wohl nie. Er schrieb nur noch wenige Erzählungen, Essays, Reportagen und Porträts .Was schade ist, denn die jetzt wieder aufgelegten Erzählungen
"Gewöhnliche Leute" beweisen, dass Bräunig ein ausgesprochen guter und sensibler Erzähler war.
Gewöhnlich und alltäglich
Der Alltag seiner Helden ist wenig aufsehenerregend. Einfach und ohne Schnörkel schreibt deshalb auch Bräunig. Er schildert kurze Szenarien aus dem Leben von Arbeitern, Fernfahrern, Rentnern
und Kneipenbesuchern. Von Liebe und Verlässlichkeit ist zu lesen, von Selbstfindungen in einem relativ unspektakulären Alltag und von der Zufriedenheit, wenn die Arbeitsroutine mal durch ein zu
meisterndes Hindernis aufgehellt wird.
Zwischen den Zeilen klingt hin und wieder aber so etwas wie Unsicherheit und Zerrissenheit durch. Das in der DDR hochgehaltene Kollektiv vergisst allzu oft, dass es immer noch Individuen
gibt, die mit sich und ihrer Umwelt nicht immer eins sind. Bei Bräunig mündet dieses Problem zum Beispiel in die Frage "Was bleibt nach dem Tod eines Arbeiters?".
Die scheinbar unauflösliche Differenz wird in Gegenüberstellungen sichtbar: der boomende Sozialismus mit Neubauten, Großbetrieben und fröhlichen Menschen ringsum auf der einen Seite; auf der
anderen der grübelnde Einzelne mit einer missglückten Liebesgeschichte und der Frage nach dem Sinn des Ganzen.
Porträts von Jedermännern
Bräunigs Figuren mit ihren Sorgen und Träumen repräsentieren das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft. Obwohl die Erzählungen Einzelschicksale schildern, können sie gleichzeitig als
Milieu -und Charakterstudie einer ganzen Gesellschaft gelesen werden. Dabei übt Bräunig auch Gesellschaftskritik. Die beschriebenen Angelas, Adeles, Schramms und Teichgräbers werden zu
Jedermännern, die nicht nur für sich stehen, sondern für alle gewöhnlichen Leute in der DDR.
In der Neuauflage von "Gewöhnliche Leute" sind zusätzliche Texte aus dem Nachlass Bräunigs enthalten. In einem Nachwort von Angela Drescher ist Bräunigs Abstieg nach seinem Romanverbot
nachzuvollziehen, sein Leben als alkoholsüchtiger Schriftsteller bis zu seinem frühen Tod 1976.
Der von der DDR-Führung verordnete, nach der Wende heftig umstrittene "Realistische Sozialismus", brachte, wie Werner Bräunigs Erzählungen zeigen, auch schöne Literatur hervor. Im Grunde
spiegeln sie auch ein Stück Alltagsgeschichte wider, worin eben jene Atmosphäre zum Ausdruck kommt, die zunehmend in Vergessenheit gerät. Deshalb ein wichtiges Buch und ein interessantes zudem.
Edda Neumann
Werner Bräunig: Gewöhnliche Leute, Aufbau-Verlag, 2008, 275 Seiten, 19,95 Euro, ISBN-13: 978-3351032302
0
Kommentare
Noch keine Kommentare