Kultur

Eingebaute Lobbyisten

von Die Redaktion · 17. April 2008

Als unabhängige, weisungsfreie und vor allem einflussreiche Finanzkontrolle des Bundes ist der Bundesrechnungshof keine Institution, die zu vorschnellen Urteilen neigt. Anfang April schlug die Behörde jedoch in einem vertraulichen Prüfbericht Alarm: So seien über 100 Unternehmens- und Verbandsvertreter in Bundesministerien tätig, teilweise seit Jahren. Zu ihren Aufgaben zählten dabei auch die Erarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen, Mitwirkung an Vergabeverfahren, Außenvertretung der Bundesregierung, in Einzelfällen sogar die Wahrnehmung der Funktion eines Referatsleiters.

In der Mehrzahl seien diese externen Mitarbeiter jedoch weiterhin von ihren ursprünglichen Arbeitgebern bezahlt worden. Diese Praxis werfe Fragen "hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Neutralität, Glaubwürdigkeit und Transparenz des Handelns der öffentlichen Verwaltung auf", so die Prüfer.

Institutionalisierung des Lobbyismus

Die Prüfung des Bundesrechnungshofes ging zurück auf Recherchen der Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto. In der ARD-Sendung "Monitor" hatten beide bereits mehrfach über die Verflechtung von Wirtschaft und Politik berichtet. Mit "Der gekaufte Staat" liegen die Ergebnisse ihrer investigativen Arbeit nun in Buchform vor.

Ob bei der Auftragsvergabe für das LKW-Mautsystem, der Legalisierung von Hedgefonds oder der Abfassung des Fluglärmgesetzes: In Fallbeispielen beschreiben sie skandalöses Verhalten von Konzernvertretern, die - mehr oder weniger kontrolliert - als "U-Boote" ihrer eigentlichen Brötchengeber agieren. Dabei wurde das ihrer Tätigkeit zugrunde liegende Programm namens "Seitenwechsel" 2002 keineswegs geheim ins Leben gerufen. Vielmehr sollte das Verständnis zwischen Wirtschaft und Bürokratie verbessert werden.

Kleiner Schönheitsfehler: Bundesbeamte wechselten im Gegenzug kaum auf Zeit in die Privatwirtschaft - und offenkundig fehlte es eklatant an Transparenz und Kontrolle. Das Resultat sei die Institutionalisierung des Lobbyismus jenseits aller gegebenen Regelungen. Besonders kritisch: Die Abgeordneten selbst wussten nichts von der Urheberschaft derjenigen Entwürfe, über die sie abzustimmen hatten.

Eindeutige Regeln notwendig

Medienberichten zufolge bezeichnete ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums das Buch als "spätpubertäres Geschreibsel". Dies ist es wahrlich nicht, sondern vielmehr ein erneuter Beweis der steten Notwendigkeit von investigativem Journalismus. Gleichwohl: In Titel und Untertitel neigen die Autoren zu womöglich berufsspezifischer Übertreibung: Eine Regelmäßigkeit, die die Legitimität des staatlichen Handelns per se in Frage stellt, können beide nämlich nicht nachweisen, allen skandalösen Beispielen zum Trotz.

Auch der Rechnungshof notiert: "Keine Anhaltspunkte für einen konkreten Verdacht auf Missbrauch." Klare Regeln sind dennoch vonnöten, das zeigen Adamek und Otto. Ein erster Schritt könnte gemacht sein: So kündigte die Bundesregierung nach der Rüge der Rechnungsprüfer an, die Vorschriften für die befristete Anstellung von Mitarbeitern der Industrie in den Ministerien zu verschärfen. Noch aber bleibt ein Geschmäckle.

Robin Rüsenberg

Sascha Adamek/Kim Otto: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, Kiepenheuer & Witsch 2008, 19,95 Euro, ISBN 978-3-462-03977-1

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