Als unabhängige, weisungsfreie und vor allem einflussreiche Finanzkontrolle des Bundes ist der Bundesrechnungshof keine Institution, die zu vorschnellen Urteilen neigt. Anfang April schlug
die Behörde jedoch in einem vertraulichen Prüfbericht Alarm: So seien über 100 Unternehmens- und Verbandsvertreter in Bundesministerien tätig, teilweise seit Jahren. Zu ihren Aufgaben zählten dabei
auch die Erarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsentwürfen, Mitwirkung an Vergabeverfahren, Außenvertretung der Bundesregierung, in Einzelfällen sogar die Wahrnehmung der Funktion eines
Referatsleiters.
In der Mehrzahl seien diese externen Mitarbeiter jedoch weiterhin von ihren ursprünglichen Arbeitgebern bezahlt worden. Diese Praxis werfe Fragen "hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die
Neutralität, Glaubwürdigkeit und Transparenz des Handelns der öffentlichen Verwaltung auf", so die Prüfer.
Institutionalisierung des Lobbyismus
Die Prüfung des Bundesrechnungshofes ging zurück auf Recherchen der Journalisten Sascha Adamek und Kim Otto. In der ARD-Sendung "Monitor" hatten beide bereits mehrfach über die Verflechtung
von Wirtschaft und Politik berichtet. Mit "Der gekaufte Staat" liegen die Ergebnisse ihrer investigativen Arbeit nun in Buchform vor.
Ob bei der Auftragsvergabe für das LKW-Mautsystem, der Legalisierung von Hedgefonds oder der Abfassung des Fluglärmgesetzes: In Fallbeispielen beschreiben sie skandalöses Verhalten von
Konzernvertretern, die - mehr oder weniger kontrolliert - als "U-Boote" ihrer eigentlichen Brötchengeber agieren. Dabei wurde das ihrer Tätigkeit zugrunde liegende Programm namens "Seitenwechsel"
2002 keineswegs geheim ins Leben gerufen. Vielmehr sollte das Verständnis zwischen Wirtschaft und Bürokratie verbessert werden.
Kleiner Schönheitsfehler: Bundesbeamte wechselten im Gegenzug kaum auf Zeit in die Privatwirtschaft - und offenkundig fehlte es eklatant an Transparenz und Kontrolle. Das Resultat sei die
Institutionalisierung des Lobbyismus jenseits aller gegebenen Regelungen. Besonders kritisch: Die Abgeordneten selbst wussten nichts von der Urheberschaft derjenigen Entwürfe, über die sie
abzustimmen hatten.
Eindeutige Regeln notwendig
Medienberichten zufolge bezeichnete ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums das Buch als "spätpubertäres Geschreibsel". Dies ist es wahrlich nicht, sondern vielmehr ein erneuter Beweis
der steten Notwendigkeit von investigativem Journalismus. Gleichwohl: In Titel und Untertitel neigen die Autoren zu womöglich berufsspezifischer Übertreibung: Eine Regelmäßigkeit, die die
Legitimität des staatlichen Handelns per se in Frage stellt, können beide nämlich nicht nachweisen, allen skandalösen Beispielen zum Trotz.
Auch der Rechnungshof notiert: "Keine Anhaltspunkte für einen konkreten Verdacht auf Missbrauch." Klare Regeln sind dennoch vonnöten, das zeigen Adamek und Otto. Ein erster Schritt könnte
gemacht sein: So kündigte die Bundesregierung nach der Rüge der Rechnungsprüfer an, die Vorschriften für die befristete Anstellung von Mitarbeitern der Industrie in den Ministerien zu verschärfen.
Noch aber bleibt ein Geschmäckle.
Robin Rüsenberg
Sascha Adamek/Kim Otto: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben, Kiepenheuer & Witsch 2008, 19,95 Euro, ISBN
978-3-462-03977-1
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