Kultur

Abbau Ost: Unbequeme Wahrheiten

von Dagmar Günther · 1. April 2008

Olaf Baale, Journalist und Produzent von Ratgebersendungen, Features und Beiträgen zum politischen Zeitgeschehen, ist bekannt dafür, dass er sich Populismus verkneift und Fakten sprechen lässt. Wie also sah die wirtschaftliche Situation der DDR wirklich aus? Wie waren die Besitzverhältnisse? Was ist aus dem Volkeigentum geworden? Und was hatte es mit den Schulden auf sich?

Ungerechte Schulden

Pointiert und detailliert lenkt Baale den Blick auf einige harte Wahrheiten. Schonungslos beschreibt er die politischen und wirtschaftlichen Vorgänge um die Treuhand und die Privatisierung der Banken, die zu dem führten, was wir heute vorfinden. Er deckt auf, wie die bestehenden Unternehmen willkürlich benotet und zum großen Teil als nicht sanierungsfähig eingestuft wurden. Wie man sie abbaute und als Konkurrenten ausschaltete. Zu unrecht, so Baale, mussten die Schulden, die die DDR hinterlassen hatte nach der Währungsunion zurückgezahlt werden. Schließlich mache es keinen Sinn, dass ein Staat der Konkurs anmeldet und von einem anderen übernommen wird, Schulden abtragen müsse, obgleich es ihn gar nicht mehr gebe. Sozialistische Schulden argumentiert Baale seien keine marktwirtschaftlichen: Zumal Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften z.B. ihr vom Staat geliehenes Geld zu DDR-Zeiten auch in die Infrastruktur der Dörfer steckten mussten und staatliche Firmen ihre Gewinne nicht behalten durften. Warum also müssen Schulden zurückgezahlt werden, die sich aus der sozialistischen Organisation des Staates ergaben?

Altdeutsche Zustände

"Voller Vertrauen und Enthusiasmus" seien Millionen Ostdeutsche in die Einheit gezogen. Doch ihre Erfahrungen waren nicht gewollt. "Ob etwas Sinn machte oder nicht, ob sich viele Strukturen bewährt hatten oder nicht, ob Vorhandenes weit kostengünstiger war als vermeintlich Neues, das war vollkommen egal", konstatiert Baale. "Ein Volk, das leistungsbereit und wohlstandshungrig war, das viele Kinder großzog und ein zukunftsfähiges Bildungssystem unterhielt, wurde um seinen Neuanfang betrogen." Selbst die Gleichberechtigung der Frauen im Arbeitsleben wurde "zerredet und abgewertet", kritisiert er, der durchaus kein Befürworter der DDR war und ist. "Was die Gleichstellung der Frau betrifft, ist das wieder vereinigte Deutschland weit hinter die Verhältnisse in der DDR zurückgefallen", schreibt Baale. "Frauen, die sich in der DDR als 'berufstätige Mütter' erleben durften, empfinden den Rückfall in die altdeutschen Zustände als besonders schmerzlich."

Gestohlene Perspektiven

Gegen Ende des zweiten Jahrzehnts im wiedervereinigten Deutschland seien die Perspektiven der Ostdeutschen "weit schlechter als im Wendejahr 1989". Natürlich gebe es auch Profiteure der Einigungskultur, "doch Hunderttausende bekamen beruflich nie wieder einen Fuß auf den Boden." Sie seien immer noch nicht angekommen. "Die DDR-Bürger wollten sich von staatlicher Bevormundung befreien, sie wollten ein wirklich demokratisches Gemeinwesen, eine wirtschaftliche Perspektive und ein Leben in Wohlstand. Stattdessen bekamen sie den bürokratischsten und kostspieligsten Staat der Welt und wurden zugleich der Möglichkeiten beraubt, damit sie ihn auch bezahlen können."

Nach dem Fall der Mauer, der Entindustrialisierung des Ostens und dem nur in Teilen geglückten Neuanfang müsse nun Schadensbegrenzung folgen. Das Beitrittsgebiet könne sich - von ein paar Ausnahmen abgesehen - nicht zur Wachstumsregion entwickeln. Baale findet sogar den Begriff Mezzogiorno noch zu gut bemessen, denn des Leistungsbilanzdefizit zwischen Ost- und Westdeutschland sei viel größer als das zwischen Süd- und Norditalien.

Soll man also den ehemaligen DDR-Bürgern den Umzug ins alte Bundesgebiet bezahlen und das Territorium der früheren DDR, abgesehen von wenigen Wirtschaftszentren, der Natur überlassen? Eine engagierte, sehr ehrliche Streitschtrift, die der Autor den ehemaligen DDR-Bürgern widmet. Aber nicht nur ihnen, sondern auch den Westdeutschen ist sie zu empfehlen.

Dagmar Günther



Olaf Baale: Abbau Ost, dtv, München 2008, 302 Seiten, 12, 90 Euro, ISBN 978-3-432-34468-5

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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