Die schlechte Nachricht zuerst: Innerhalb der kommenden 10 bis 20 Jahre ist ein Kollaps der weltweiten Finanzstrukturen unvermeidlich. Das ist die These von Dirk Soltes Buch "Weltfinanzsystem
am Limit. Einblicke in den 'Heiligen Gral' der Globalisierung". Solte ist Wirtschaftsingenieur und im Vorstand des von Franz Josef Radermacher geleiteten und privat finanzierten Forschungsinstitut
für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n. Soltes These ist nicht neu, der Autor versucht sie wissenschaftlich zu untermauern. Sein Ziel ist ein "systemisches Verständnis" der
Weltfinanzmärkte. Kein einfaches Unterfangen, denn verlässliche Zahlen über das Weltfinanzsystem zu bekommen, ist schwierig.
150 Billionen
Dreh- und Angelpunkt der These vom Zusammenbruch ist das immense Wachstum von Finanzvermögen. Platt formuliert: Es gibt immer mehr "Geld": 150 Billionen (150 000 000 000 000) USD 1995. Zum
Vergleich: 1970 waren es 4,7 Billionen. Bei der Rechnung sind Finanzmarktprodukte eingeschlossen. Diesem Geld stehen immer weniger "Werte" gegenüber, denn mit dem Wachstum des Finanzvermögens
korrespondiert ein entsprechendes Kreditvolumen. Die Verschuldung stieg von 112 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts (BIP) 1970 auf 240 Prozent im Jahr 2005. Würde man diese Reihe fortschreiben,
"wäre die Welt 2042 in Konkurs, denn sie müsse ihr gesamtes BIP für Zinszahlungen aufwenden".
Ursache ist vor allem die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, wegen dem über die Steuergesetzgebung geführten Standortwettbewerb und der Möglichkeit, globaler Akteure, Steuerzahlungen zu
umgehen. Um den Standort im internationalen Wettbewerb auf hohem Niveau zu halten, mussten die Staaten sich verschulden. Eine Spirale die sich immer weiterdreht, wie sich in den USA gerade
besonders deutlich beobachten lässt.
Wie lässt sich der Teufelskreis durchbrechen? Die Rezepte sind bekannt.
1. Austrocknen der Steueroasen, die Verbindung zu diesen Inseln kappen, wie es Helmut Schmidt schon vorgeschlagen hat.
2. Eine Steuer von 0,01 Prozent auf Finanztransaktionen. Angesichts von Überweisungskosten von 15 bis 20 Euro, wie sie bis vor kurzem selbst in der EU üblich waren, ein verträglicher Betrag.
Zudem geht es bei der Steuer weniger um das Geld als um die Informationen über Transaktionen, die dieser völlig intransparente Markt bislang nicht zur Verfügung stellt.
Inflation oder Zusammenbruch
Und wenn nichts passiert? Dann droht eine gigantische Inflation bzw. der vollständige Zusammenbruch des Weltfinanzsystems, am Ende eventuell mit einer neuen Währung, so Radermacher. Die
Staaten wären ihre Schulden los, die Sparer ihre Guthaben, wer jetzt schon reich ist wird noch reicher. Wie sich der einzelne davor schützen kann? Zynisch gesagt, gar nicht. Wer sein Geld in Werten
angelegt hat, Häuser oder Grundstücke, möchte Glück haben.
Verhindern, dass es zum Kollaps kommt, kann allein die Politik. Nicht so sehr die Nationalstaaten, aber z.B. die EU. "Europa ist der größte Markt der Welt", so Franz Josef Radermacher,
Mitglied des Club of Rome. "Europa ist in Bezug auf den Handel eine Supermacht." Und nun wird er ganz praktisch: Europa habe eine eigene Zeitzone, könne sich also z.B. eine Besteuerung von
Finanztransaktionen leisten, ohne den Finanzstandort zu gefährden. Schließlich müssten die anderen Finanzplätze auf einen - teureren - Nachbetrieb umstellten, um parallel Handel treiben zu können.
Fazit: Ein lehrreiches Buch, ein beunruhigendes Buch. Dirk Solte hat versucht, die komplexe Materie für Laien verständlich darzustellen. Um ein Bestseller zu werden, ist die Materie aber
vermutlich doch zu komplex.
Susanne Dohrn
Dirk Solte, Weltfinanzsystem am Limit. Einblicke in den "Heiligen Gral" der Globalisierung. Terra Media Verlag, Berlin 2007, 279 Seiten, 19,80 Euro, ISBN: 978 3 98117152
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