Kultur

Warum uns Matthias Matussek gern haben kann

von Die Redaktion · 7. Juli 2006

Nun tritt also Matussek, der Spiegel-Kulturchef an, den Patriotismus zu verteidigen. Das unverkrampfte Verhältnis der Deutschen zur Nation sitzt nämlich seiner Meinung nach zu Unrecht auf der Anklagebank, beschuldigt von "Ich-schäme-mich-für-Deutschland-Aktivisten" und anderen "linken Spießern". Matussek schwingt sich zum Anwalt auf.

Selbstbewusst tritt er alten Vorurteilen gegenüber Deutschland entgegen - und beantwortet diese seinerseits mit Vorurteilen, wie in seinem bissigen Urteil über die Briten. "Nichts stimuliert die Liebe zum eigenen Land so sehr, als wenn man es ständig gegen Klischees und Herabsetzungen zu verteidigen hat", schreibt Matussek, der lange Jahre im Ausland lebte.

Heine, Humboldt, Harald Schmidt im Zeugenstand

Er führt deutsche Leistungen ins Felde: Die des Dichters Heinrich Heine, in dessen Tradition sich Matussek offenbar sieht. Auch Alexander von Humboldt, Harald Schmidt, Klaus von Dohnanyi oder die jungen Künstler des heutigen Berlins lädt der Autor in den Zeugenstand.

Ins Kreuzverhör nimmt der ehemalige Alt-Linke Matussek die 68er-Generation, Deutsche, die seiner Ansicht nach die deutsche Geschichte böswillig "auf die Zeit des Nationalsozialismus verengen". Er wirft der Linken bissig "Selbsthass" vor und geißelt Joschka Fischer für dessen Aussage, der Grundstein der deutschen Demokratie sei Auschwitz.

Denn Matussek hat eine einfachere, eine elegantere Perspektive gefunden. Für ihn ist Hitler ein "Freak-Unfall" der deutschen Geschichte. Und wenn man nur elegant und witzig genug darüber schreibt, dann trüben jene zwölf Jahre, siehe da, sein neues deutsches Nationalverständnis auch nicht nennenswert.

Nationalstolz als Luxus?

Dank Matussek wissen wir nun, wie wir den Deutschland-Klischees entgegentreten müssen: schlagfertig, witzig und bissig, am besten ganz so wie der Autor selbst. Überhaupt drängt sich der Eindruck auf, dass das "Wir", mit dem uns der Autor im Titel umarmt, vielmehr ein "Ich" ist. Was für die Matusseks, die Weitgereisten, die Aktionäre dieses Landes gilt, das muss noch lange nicht für jeden anderen Deutschen Gültigkeit besitzen. Nationalstolz als Luxus?

Sein engagiertes Plädoyer bleibt zudem die Antwort schuldig, wofür wir mehr Patriotismus eigentlich brauchen? Um "in der globalisierten Welt bestehen" zu können? Geschenkt.

So endet der Prozess - ohne Freispruch erster Klasse für Verteidiger Matussek. Aber nicht etwa, weil die Beweislast gegen Patriotismus, Flaggen und Hymnesingen erdrückend gewesen wäre. Sondern, weil es Matussek nicht gelungen ist, überzeugend darzulegen, warum wir uns selber noch lieber haben müssen als ohnehin schon.

So wie nach Abpfiff der WM die Flaggen von Autos, Fensterbrettern und Dönerläden verschwunden sein werden, so wird auch Matthias Matusseks 352-seitiges Plädoyer vergessen werden. Vielleicht bis zur nächsten WM.

Matthias Matussek: Wir Deutschen. Warum uns die anderen gern haben können, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006, 352 S., 18,90 Euro. ISBN 3-10-048922-5

Manuel Preuten

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