Einen solchen Vater gehabt zu haben, wünschte man sich: Orientierung gebend durch den leisen Druck des Wissens, das vermittelt sein will. Doch schon nach den ersten Seiten relativiert sich
der Eindruck: Da kommt Autoritäres
ins Spiel. Die angeheirateten Kinder des greisen Philosophen Wolfgang Harich behaupteten sich dagegen auf einfühlsame Weise. Die Wissensgesellschaft DDR ging nicht so sensibel mit ihm um.
Anne Harich - erst in seinen letzten Jahren Ehefrau des 1957 in der DDR aus politischen Gründen zu 10 Jahren Haft verurteilten Philosophen Wolfgang Harich, schreibt über das, was sie an
seiner Seite erlebte. Und sie geht dem nach, was diesen Mann in den Jahren zuvor geprägt und ihn bis zu seinem Tod belastet hat. Sie ist stolz auf sein ungeheures Wissen, seine Feingeistigkeit, die
bedeutende Geschichte seiner Familie. Warum er sich manchmal so verbog, versteht sie nicht, obgleich oder gerade weil sie seine Geschichte kennt.
Insbesondere jenen, die der DDR-Nostalgie anheimzufallen drohen oder ihre liebe Not mit DDR-Nachfahren - einschließlich der eigenen Person - haben, sei dieses Buch empfohlen. Nicht, weil es
prononciert und argumentativ gut untersetzt gegen den verblichenen Staat angeschrieben worden wäre, sondern weil es die DDR an der Seite eines ihrer treuesten Vasallen nacherleben lässt.
Das Geschehene begreifen
Harich, Mitte der 50er Jahres noch lange nicht 30 Jahre alt, war ein engagierter Verfechter des Sozialismus. Der blutjunge Dozent hatte dies in den von ihm gehaltenen Vorlesungen deutlich
gezeigt ebenso wie in seiner Lektorentätigkeit für den Aufbau-Verlag und in seinen Fachpublikationen.
Nach dem Tod Stalins hatte ihn dies dazu gebracht, sich mit all seiner Kraft für einen neuen, kreativen, demokratische Kräfte freisetzenden Weg des Sozialismus einsetzen zu wollen. Dem
Bildungsbürgertum entstammend verfügte er über ein breites Wissen um humanistische Literatur. Nach dem Krieg war das nicht selbstverständlich und sein rascher wissenschaftlicher Aufstieg zeigte,
dass man das in seiner Umgebung anerkannte.
In der Person Walter Ulbrichts sah er wie andere engagierte Intellektuelle jener Zeit ein Hemmnis auf diesem Weg. Mit Unterstützung Walter Jankas und anderer (z.B. auch Erich Loests) schrieb
er ein mehrseitiges Pamphlet, das er dem sowjetischen Botschafter überbrachte und in dem die Absetzung
Ulbrichts gefordert wurde. Die Hoffnungen erfüllten sich nicht - auch nicht, nachdem die Haftzeit lange beendet war.
Harich widmete sich danach dem Einsatz für Lukacz Lehren, für das Wiederentdecken des Dichters Jean Paul. Er setzte sich gegen die Nietzsche-Renaissance ein, die er als den Anfang vom Ende
betrachtete, ebenso wie den Einzug der Ideen der Frankfurter Schule in das geistige Leben der DDR in den 80er Jahren.
Anne Harichs Buch ist der Versuch das Geschehene zu begreifen: Biografie und Erinnerung.
Fragen über Fragen
Wie ist man mit diesem Menschen umgegangen?
Was hätte er leisten können?
Wie hat er selbst sich anderen gegenüber verhalten?
Was stand ihm frei, was nicht?
Warum war es für ihn so schwer, um Anerkennung zu kämpfen und als vollwertiges Mitglied in die Gesellschaft, in die SED auch, wiederaufgenommen zu werden?
Ließ er sich nicht selbst willfährig auf die autoritären Strukturen der Gesellschaft ein und überbot sie sogar in einseitigem Denken?
Engte die Angst, auch die vor sich selbst nicht zugegebene, das Denken ein?
All diese Fragen kann das Buch auslösen und es bietet Material, eigene Antworten zu finden, denn Anne Harich hat neben dem ErinnernTagebuchnotizen, Briefe und andere Dokumente ausgewertet und
veröffentlicht. Über die Diskussion des damaligen Umgehens mit der eigenen Vergangenheit hinaus ist das Buch ein Plädoyer dafür, zu verstehen, nicht abzuwerten,sondern zu erkennen, was bei allen
zeitströmungsbedingten Differenzen annehmbar ist vom anderen.
Dorle Gelbhaar
Anne Harich "Wenn ich das gewußt hätte …" Erinnerungen an Wolfgang Harich, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH 2007, 432 Seiten, Euro, ISBN 978-3-360-01294-4
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