Nach dem Beginn des "Unternehmens Barbarossa", des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, meldete Wassili Grossman sich freiwillig an die Front.
Er wurde Korrespondent der Armeezeitung "Krasnaja Swedsa" (Roter Stern). Über 1000 Tage des Krieges erlebte er hautnah. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen war er nicht immer nur um
politisch gefällige Formulierungen bemüht. Viele seiner Artikel wurden wegen "unheroischer Darstellung" abgelehnt. Trotzdem erscheint er im Vergleich zu Ilja Ehrenburg geradezu als politisch naiv.
In seinen schmerzlichen Schilderungen der Ängste der Bevölkerung wird das Trauma des deutschen Überfalls spürbar. Grossman machte überdeutlich, wie unendlich mühsam und gnadenlos der Kampf gegen
die Deutschen geführt wurde. Den stalinschen Antisemitismus hingegen bemerkte er lange Zeit nicht.
Das tiefe Grauen und die eitlen Generäle
Der Korrespondent erlebte und beschrieb die Schlachten um Moskau, Stalingrad, des Kursker Bogens und die Befreiung der besetzten Gebiete ebenso wie den Sturm auf Berlin. Während der Befreiung
der Ukraine fand er heraus, dass seine Mutter bei einem Massaker an den Juden seiner Heimatstadt ermordet worden war. Tiefes Grauen erfasst den Leser, wenn Grossman den Zustand der von den
Deutschen befreiten Gebiete und die von ihnen verübten Verbrechen an der Bevölkerung beschreibt.
In Polen stieß die Armee auf die Lager Majdanek und Treblinka. Grossmans Bericht über das Lager Treblinka wurde auch bei den Nürnberger Prozessen vorgetragen. Er ist in diesem Buch erstmals
wieder in voller Länge abgedruckt.
Der sowjetische Antisemitismus jedoch, der durch Josef Stalin sehr gestärkt worden war, wurde ihm erst später bewusst. Da beteiligte er sich an der Sammlung für ein "Schwarzbuch" der
Verbrechen gegen Juden in der Ukraine, dessen Veröffentlichung von den russischen Behörden rigoros hintertrieben wurde. Die Schilderung von spezifisch gegen Juden gerichteten Verbrechen, vor allem
aber die rege Beteiligung der Ukrainer an den Morden, entsprach eben nicht der vorherrschenden Ideologie.
Wassili Grossman schaffte es, mit so berühmten Generälen wie Wassili Tschuikow und Georgi Schukow ins Gespräch zu kommen. Zutiefst enttäuscht über deren eitles Gerangel um Auszeichnungen und
Anerkennung, wandte er sich jedoch schnell wieder den einfachen Soldaten zu. Die verehrte er sehr. Umso mehr entsetzte ihn dann deren Verhalten gegenüber der deutschen Bevölkerung am Ende des
Krieges.
Die Aufzeichnungen von Wassili Grossman vermitteln ein eindringliches Bild des "Großen Vaterländischen Krieges". Seine feinsinnigen psychologischen Beobachtungen versetzen den Leser in
Erstaunen. Als Autor von "Leben und Schicksal" zählt Grossman heute zu den bekanntesten russischen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts.
Maxi Hönigschmid
Anthony Beevor / Luba Vinogradova: "Ein Schriftsteller im Krieg. Wassili Grossman und die Rote Armee 1941- 1945" ; 480 Seiten,
ISBN-13: 978- 3570009130; C. Bertelsmann Verlag, 24,95€
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