Kultur

Der fromme Widerständler

von Die Redaktion · 8. Februar 2007

Helmuth James von Moltke, im niederschlesischen Kreisau geboren, wuchs in einer weltoffenen Atmosphäre auf, genoss durch seine Mutter eine vorwiegend britische, liberale Erziehung und engagierte sich schon sehr früh auch in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen. Von 1927 bis 1929 studierte Moltke Rechts- und Staatswissenschaften, u.a. in Berlin und Wien. Bereits in Wien lernt er durch Carl Zuckmayer die beiden Sozialdemokraten Carlo Mierendorff und Theodor Haubach kennen, die er später in die Arbeit des Kreisauer Kreises einbeziehen wird.

Widerstand am Schreibtisch aus

1934 besteht Moltke sein Assessorexamen, verzichtet jedoch 1935 darauf Richter zu werden, um nicht der NSDAP beitreten zu müssen. Stattdessen eröffnet Moltke in Berlin eine Rechtsanwaltskanzlei. Zwischen 1935 und 1938 hält sich Moltke regelmäßig in Großbritannien auf, um in London und Oxford die englische Rechtsanwalts-Ausbildung zu absolvieren.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wird Moltke in der völkerrechtlichen Abteilung der Amtsgruppe Ausland/Abwehr tätig. Er nutzt seinen Einsatz als Völkerrechtler im Oberkommando der Wehrmacht zu subversiven Tätigkeiten. Er hofft durch Gutachten humanitär auf das militärische Geschehen einwirken zu können. Dabei wird Moltke von NS-Gegnern wie Admiral Canaris und Generalmajor Oster unterstützt.

Anfänge des Kreisauer-Kreises

Moltkes Weg in den Widerstand begann schon in den frühen 30er Jahren. Dieser Weg lässt sich insbesondere anhand der zahlreichen Kreisauer Texte und der Briefe an seine Frau Freya nachzeichnen. In der Amtsgruppe des Oberkommandos der Wehrmacht war Moltke ein "machtloser Mann im Vorzimmer der Macht" (Brakelmann). Bald schon beginnt er daher einen Freundeskreis aufzubauen, dem Katholiken wie Alfred Delp, Protestanten wie Harald Poelchau und Eugen Gerstenmaier, Sozialdemokraten wie Carlo Mierendorff und Theodor Haubach, sowie Peter Yorck von Wartenburg und Adam Trott zu Solz - um nur einige zu nennen - angehören.

Mit dieser gesamtgesellschaftlich repräsentativen personellen Zusammensetzung waren die besten Voraussetzungen gegeben, bei der Formulierung einer staatlichen Neuordnung nach der Katastrophe selbstkritisch die gesamte deutsche Geschichte auf den Prüfstand zu stellen. Dies schloss die inhaltliche Kritik an deutscher Philosophie ebenso ein, wie die Kritik an der deutschen Staats- und Verfassungslehre, an intoleranten Positionen des Konfessionalismus, an ideologischen Parteidoktrinen sowie am unsolidarischen Klassendenken des Besitz- und Bildungsbürgertums.



"Es ist unsere Pflicht, das Widerliche zu erkennen."


Die Arbeit der Kreisauer hat Moltke in einem Brief vom 1. Juni 1940 an seine Frau Freya folgendermaßen definiert: "Es ist unsere Pflicht, das Widerliche zu erkennen, es zu analysieren und es in einer höheren, synthetischen Schau zu überwinden und damit für uns nutzbar zu machen. Wer davor wegsieht, weil ihm entweder die Fähigkeit fehlt zu erkennen oder die Kraft, das Erkannte zu überwinden, der steckt den Kopf in den Sand."

Und an anderer Stelle: "Wer um sich den äußeren Frieden zu erhalten Schwarz Weiß sein lässt und Böse Gut, der verdient den Frieden nicht, der steckt den Kopf in den Sand. Wer aber jeden Tag weiß, was gut ist und was böse und daran nicht irre wird, wie groß auch der Triumph des Bösen zu sein scheint, der hat den ersten Stein zur Überwindung des Bösen gelegt."

1942 bis Sommer 1943 lässt sich als die eigentliche Programmphase der Kreisauer um Moltke bezeichnen. In dieser Zeit wurde über die Grundsätze für eine rechtsstaatliche Neuordnung, für die Bestrafung von Rechtsschändern und für die Wiederherstellung der Rechtsordnung nachgedacht und daran gearbeitet. Dabei formulierten Moltke und die Kreisauer vier konstitutive Grundelemente einer künftigen Rechts- und Staatsordnung: a) die christliche Religion; b) die humanistische Bildung; c) die sozialistische Gesinnung sowie d) die historische Bindung.

Ziel: geistig-religiöse Erneuerung

Im Gegensatz zum bürgerlich-militärischen Widerstand um Beck und Goerdeler ging es den Kreisauern nicht nur um die Überwindung des Nationalsozialismus, sondern um eine geistig-religiöse Erneuerung. In diesem Zusammenhang macht Brakelmann deutlich, dass der Nationalsozialismus sich als historische Alternative zur bisherigen europäisch-christlichen Tradition verstand. Daher stellte für die Nationalsozialisten schon das Nachdenken über eine neue Ordnung und ein neues menschliches Selbstverständnis eine Bedrohung dar. Vor dem Volksgerichtshof sollte dies als ein todeswürdiges Verbrechen dargestellt und verurteilt werden.

Schon bald sollte sich herausstellen, dass Moltkes Haltung und seine Einsprüche gegen völkerrechtswidrige Befehle nicht gefahrlos waren. Darüber hinaus erkannte die Gestapo zunehmend, wie wichtig Glaube, Religion und Kirche im Selbstverständnis der Kreisauer waren. Am 19. Januar 1944 wird Moltke von der Gestapo verhaftet und zusammen mit anderen Mitgliedern des Kreisauer Kreises vor den Volksgerichtshof unter Roland Freisler, der als Inbegriff eines nationalsozialistischen Richters bekannt und berüchtigt war, gestellt.



Endstation Volksgerichtshof


In einem Brief an Freya fasste er die Auseinandersetzungen mit Freisler zusammen: Besprochen wurden "nicht etwa Organisationsfragen, nicht etwa Reichsaufbau - das alles ist im Laufe der Verhandlung weggefallen, und Schulze der Staatsanwalt hat es in seinem Plädoyer auch ausdrücklich gesagt (¢unterscheidet sich völlig von allen sonstigen Fällen, da in den Erörterungen von keiner Gewalt und keiner Organisation die Rede war¢), sondern besprochen wurden Fragen der praktisch-ethischen Forderungen des Christentums. Nichts weiter: Dafür allein werden wir verurteilt.

Freisler sagte zu mir in einer seiner Tiraden: Nur in einem sind wir und das Christentum gleich: Wir fordern den ganzen Menschen. ... Von der ganzen Bande hat nur Freisler mich erkannt, und von der ganzen Bande ist er auch der Einzige, der weiß, weswegen er mich umbringen muss." Am 11. Januar 1945 wird Moltke zum Tode verurteilt. Zwölf Tage später - am 23. Januar 1945 - wird er im Zuchthaus Berlin-Plötzensee hingerichtet.



Gewissen als Triebfeder


In einem Brief aus der Gestapo-Haft an seine beiden Söhne hat Moltke seine Motivation zum Widerstand begründet: "Seitdem der Nationalsozialismus zur Macht gekommen ist, habe ich mich bemüht, seine Folgen für seine Opfer zu mildern und einer Wandlung den Weg zu bereiten. Dazu hat mich mein Gewissen getrieben - und schließlich ist das eine Aufgabe für einen Mann."

Es ist das besondere Verdienst von Günter Brakelmann, dass er den Weg Moltkes von den Anfängen in Kreisau, über die verschiedenen Stationen bis zu seinem gewaltsamen Tod detailliert, kenntnis- und faktenreich nachgezeichnet hat. Dabei hat er besonders eindringlich die zunehmend stärker in den Vordergrund tretenden religiösen Motive, die Moltke in den Widerstand geführt haben, herausgestellt. Mit dieser Biografie liegt seit langem wieder ein wichtiges und spannend zu lesendes Standardwerk zu Helmuth James von Moltke vor, das nicht nur dem Fachpublikum zu empfehlen ist.

Wolfgang Brinkel

Der Autor ist Diplom-Sozialarbeiter, Publizist und

Direktor des Sächsischen Epilepsiezentrums Radeberg

Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke 1907 - 1945. Eine Biografie. C.H. Beck: München 2007, 432 Seiten, 60 Abbildungen, Euro 24,90

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