Kultur

Mehr Stadt für weniger Bürger

von Die Redaktion · 26. März 2007

von Kristina Siekermann

Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Glock (Humboldt Universität Berlin) untersucht in ihrem Buch "Stadtpolitik in schrumpfenden Städten" anhand von Duisburg und Leipzig, wie Städte auf den Wandel von Wachstum und Schrumpfung stadtentwicklungspolitisch reagieren.

Im Zentrum der Studie stehen die Fragen, unter welchen Bedingungen der Schrumpfungsprozess eher als ein temporäres Problem betrachtet wird; bzw. wann die schrumpfende Stadt als ein neuartiger städtischer Entwick-lungstypus interpretiert wird, dem mit neuen Strategien und politischen Programmen begegnet wird.

Zwei Städte, ein Problem

Geleitet wird die Studie von der Annahme, dass es - ,trotz ähnlicher Problemlagen in Leipzig und Duisburg, - unterschiedliche lokale Antworten auf die Schwierigkeiten der Schrumpfungsprozesse gibt. Die Schlüsselrolle spielen dabei nicht die ökonomischen oder staatlichen Rahmenbedingungen, sondern die Entscheidungen der zentralen Akteure in der Stadtentwicklungspolitik. Daher liegt der Fokus dieser Studie auf den an der Politikformulierung und -Implementierung beteiligten städtischen Akteuren.

Schrumpfende Stahlstadt am Rhein und schrumpfende "Boomstadt" im Osten

Die beiden Untersuchungsstädte ähneln sich bezüglich ihrer sozioökonomischen Problemlagen: in beiden erodierte die industrielle Basis, sie mussten Einwohner- sowie Arbeitsplatzverluste hinnehmen, und der fiskalische Handlungsspielraum der Städte verringerte sich. Obwohl sich allerdings die Ursachen und das Ausmaß der Schrumpfung unterscheiden, so handelt es sich doch in beiden Fällen um langfristige und wahrscheinlich sich noch verfestigende strukturelle Phänomene (43).

Doch wie reagierten beide Großstädte auf die Schrumpfungsprozesse, wann hoffen sie, dass Schrumpfung wieder in Wachstum umschlägt und gibt es eine Neuorientierung ihrer Stadtentwicklungspolitik? In ihrem Buch zeigt Birgit Glock allgemeine Ursachen und Folgen von städtischen Schrumpfungsprozessen auf. Sie entwickelt ein theoretisch-konzeptionelles Analysemodell, demzufolge die institutionell-rechtliche Einbettung und die überlokale Angebotsstruktur die städtischen Handlungsspielräume definieren und begrenzen (77).

Somit bestimmt der städtische Diskussions- und Entscheidungsprozess, der für die Akteurskonstellationen und Kooperationsformen ausschlaggebend ist, ob und wie dem Schrumpfungsprozess begegnet wird. Dieses Modell leitet die empirische Untersuchung in den folgenden Kapiteln. Es werden Stadtprofile für beide Großstädte erstellt und die Reaktionen der Stadtentwicklungspolitik und die politischen Diskussions- und Entscheidungsprozesse verglichen.

Deutlich wird dabei: Das Schrumpfen in Ostdeutschland unterscheidet sich qualitativ und quantitativ vom Schrumpfen im Westen, denn die Arbeitsplatz- und Einwohnerverluste zeigten sich nach 1990 zuerst in besonderer Schärfe in den industriell geprägten Siedlungsschwerpunkten der DDR. Bis heute gibt es dort eine selektive Abwanderung Jüngerer und Qualifizierter und die Suburbanisierung der Mittelschicht geht voran.

Umdenken ist gefragt

In ihrer Untersuchung zeigt die Autorin, dass beide Städte erst ähnlich und mit herkömmlicher Standortprofilierung reagierten. Duisburg förderte Technologie, Innovationen sowie Gewerbeparks und forcierte das Flächenrecycling. Seit den 1990er Jahren initiierte die Stadt spektakuläre Großvorhaben (MultiCasa, Urbanum, "Neues Rheinufer", Bundesgartenschau). In Leipzig gab es nach 1990 eine Erneuerung von Messe und Hauptbahnhof: "Leipzig kommt!", so die Imagekampagne. Es gab innovativere Maßnahmen mit der Altbausanierung zur Stabilisierung des Wohnungsmarktes - der Problemdruck war höher als in Duisburg.

Differenzen zeigten sich auch in der Problemwahrnehmung: In Duisburg wurde der Schrumpfungsprozess eher als ökonomischer Übergang betrachtet. Bevölkerungsverluste spielten eine untergeordnete Rolle in der Problemwahrnehmung der lokalen Akteure. In Leipzig hingegen standen für die lokalen Akteure vor allem die Einwohnerverluste und der Wohnungsleerstand im Mittelpunkt, wenngleich die Stadt ebenfalls Arbeitsplatzeinbußen hinnehmen musste.

Ein wesentlicher Unterschied zeigte sich ferner bei den Akteurskonstellationen: In Duisburg waren die Akteure, die von der lokalen Verwaltung gewonnen werden musste, um die stadtentwicklungspolitischen Initiativen durchsetzen zu können, zunächst die SPD-Ratsfraktion und nach den Kommunalwahlen 1999 auch andere Parteien. Die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer, als ressourcenreicher Stadtakteure allerdings blockierte die Initiativen (202), so Glock. In Leipzig dagegen wurde eher ein Konsens im Stadtrat gesucht. Die Partei, die von der Verwaltung gewonnen werden musste, war zunächst die SPD, später auch die CDU. Beide Akteure versuchten auch andere Parteien zu integrieren und drängten auf einen breiten Konsens.



Realistische Problemwahrnehmung bevor es zu spät ist


Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es "in schrumpfenden Städten in erster Linie um das "Aufbrechen" von Interpretationsroutinen" geht: Denn die \'Verdrängungshaltung\' von lokalen Akteuren", Schrumpfung nur als vorübergehende Phase zu deuten, "ist das größte Hindernis" für neue Politiken. Es zeigt sich, dass am ehesten die Verwaltung über die Ressourcen verfügt, die demographischen und sozialen Entwicklungen zu analysieren - ehrenamtliche Politiker können dies kaum leisten und Verbände und Kammern verhindern oft einen sinnvollen Umgang mit Schrumpfung.

Der Leser erfährt viel über städtische Schrumpfungsprozesse, über Duisburgs und Leipzigs stadtpolitische Geschichte sowie über ihren ökonomischen und demographischen Aufschwung und ihre Strukturkrisen. Das Buch ist verständlich geschrieben und dank seiner durchgängig anschaulichen Herangehensweisen flüssig zu lesen. Lobenswert ist, dass die Untersuchung nicht davon ausgeht, dass schrumpfende Städte ohnmächtig seien aufgrund der strukturellen, überörtlichen Ursachen - wie vielfach behauptet wird.

Im Gegenteil: Es wird - für den Leser nachvollziehbar -dargelegt, dass es einen Unterschied macht, ob Städte die Schrumpfungsprozesse als Problem sehen und dementsprechend im Interesse ihrer (verbleibenden) Bürger handeln oder eben nicht. Die Autorin leitet aus ihren Analysen Forderungen an die politischen Akteure ab und zeigt, dass schrumpfende Städte ein "realistisches Problembewusstsein" herausbilden sollten, um auf die aktuelle Situation zu reagieren, "bevor sich die negativen Folgeprobleme in den nächsten Jahren noch einmal deutlich potenzieren" (205).

Birgit Glock: Stadtpolitik in schrumpfenden Städten. Duisburg und Leipzig im Vergleich, 229 S., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006. ISBN: 3-531-15171-7, 32,90 Euro

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