Kultur

Meine Eltern, die Wende und ich

von Dagmar Günther · 18. Juni 2007

1988 bekommt sein Vater einen Job im Ausland angeboten. Die Aussicht auf Devisen und Weltreisen ist verlockend. Aber es gibt einen Haken: Sohn Robert soll in der DDR bleiben - eine Art Pfand. Die Eltern lehnen ab. Dafür ist der Autor von "Geteilte Träume" ihnen bis heute dankbar. Und solchen Erlebnissen entspringt die Frage, ob es angebracht sei, "über die Niederlagen und Konflikte der älteren Generation nach der Wende, das Überholtwerden von den eigenen Kindern, die anhaltende Orientierungslosigkeit " zu sprechen.

"Tante, warst Du bei der Stasi?"

Ide ist gerade 14 Jahre alt, als die Mauer fällt. Kurzerhand wird das alte Pionierhalstuch zum Schuhputzlappen umfunktioniert. Er erlegt sich selbst den Lehrplan "Gesamtdeutsch werden" auf. Getrieben von dem, was er die "ostdeutsche Ur-Angst" nennt: "Nicht gut genug für das Land zu sein." Ide wähnt sich im richtigen Alter, ein neues Leben zu beginnen. Dabei hat er das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein: "Jene, die mir bisher den Weg gewiesen hatten, kannten sich jedenfalls nicht mehr aus."

Seine Eltern müssen mit 40 Jahren bei Null beginnen. "Doch ich konnte ihnen nicht helfen. Ich musste ja selbst üben", schreibt Ide. Bleibt die Frage, ob die Eltern diese Hilfe überhaupt erwartet oder gewollt hätten. Der Autor jedenfalls erlebte die bedrückende Situation, dass die eigenen Eltern hilflos erschienen. Sonntags beim Kirschkuchen wird aber nicht darüber gesprochen, wie unterschiedlich Eltern und Kinder im neuen Deutschland angekommen sind.

"Tante, warst Du bei der Stasi?" scheint ebenfalls eine unangebrachte Frage zu sein. Denn darf man sich überhaupt ein Urteil erlauben, wenn man selbst zu jung war, um vor der Entscheidung Anpassung oder Flucht gestanden zu haben? Gleichzeitig findet Ide es wichtig, sich zu erinnern und über die Vergangenheit zu sprechen. Denn das Neue sei ohne das Alte nicht zu verstehen.



Was ist die eigene Vergangenheit wert?


Und doch gibt es die Angst, bei zu vielen Unterschieden das ostdeutsche Gemeinschaftsgefühl zu riskieren, "die Erinnerung an ein Leben, von dem der Westen sowieso keine Ahnung hat". "Viele junge Ostdeutsche", so Ide, "sind zukunftsorientiert und nostalgisch zugleich." Sie erleben bisweilen "ein Heimweh, das sich eher wie Fernweh anfühlt". Schließlich soll die eigene Kindheit bewahrt werden. Ein paar Relikte des untergegangenen Landes, das man als Kind selbst erlebt hat, werden geschätzt. Und schließlich prägte die DDR die Menschen. Wer heute 40 Jahre alt ist, hat mehr Zeit in der DDR verbracht, als im vereinten Deutschland.

Was ist die eigene Vergangenheit wert? Heute wird das "DDR-Bild leicht bekömmlich arrangiert und als Markenartikel zum Verkauf angeboten, es wird öffentlich prenzlauerbergisiert" und ist Kult. Aber, dass das viel gepriesene schwedische Bildungssystem eigentlich aus der DDR kommt, wolle niemand wissen. Was lohnt es also zu vergessen und was zu erhalten, fragt der Autor.

"Mit dem Schatz der Erinnerung an die DDR ist das wiedervereinte Land oft ruppig, zuweilen gleichgültig, manchmal wehmütig umgegangen." Das hält Ide für falsch. Er möchte vielmehr, "dass jeder die ach so geheimnisvolle Ost-Identität versteht". Deshalb erzählt er seine Geschichte, und die Erlebnisse seiner Freunde - und spricht über die "sanierte Stille", die

heute in vielen ostdeutschen Orten herrscht.

Die Mauer zwischen Ost und Ost

Zwischen Ost und Ost trennt eine Mauer die Gewinner der Wende von den Verlierern, schreibt Ide. Häufig sei das eine Generationenfrage. Jeder dritte Ostdeutsche fühle sich als Wendeverlierer. Die Jüngeren, so der Autor, seien aber kaum darunter. Während viele junge Ostdeutsche die Unsicherheit nach dem Umbruch bekämpft und gemeistert haben, ist das den Älteren oft nicht geglückt.

Der Autor würde gern offen über diese Unterschiede sprechen. Auch darüber, ob sich die Jungen als Verräter fühlen, wenn sie die strukturschwachen Regionen im Osten verlassen. Und, dass es oft die eigenen Eltern sind, die plötzlich von Hartz IV leben, während man selbst gut zurechtkommt. Die jungen Ostdeutschen genießen die Freiheit. Dazu zähle für ihn aber keinesfalls, die Eltern anzugreifen wegen Versäumnissen der Vergangenheit oder ihres Verhaltens in der Gegenwart. "Mir fehlen nur ein wenige Jahre Leben, und alles wäre anders verlaufen", erklärt Ide.

Vielleicht ist nicht jedes Problem des Erwachsenwerdens, das Ide beschreibt, spezifisch ostdeutsch. Dennoch beleuchtet er eine besondere Form der Trennung von der Elterngeneration. Dabei ist das Buch keineswegs anklagend oder wehmütig. Es lebt von persönliche Erinnerungen auf, versucht zu erklären. "Geteilte Träume" ist eine absolut lesenswerte Beschreibung der Situation - 17 Jahre nach der Deutschen Einheit.



Birgit Güll




Robert Ide: Geteilte Träume. Meine Eltern, die Wende und ich, Luchterhand Literaturverlag, München, 2007, 14,95 Euro, ISBN 978-630-87236-0



Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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