Kultur

Europa als Entwicklungsroman

von ohne Autor · 25. Juli 2007

September 1914 - während an der Westfront die Marneschlacht tobt, unterbreitet ein 26jähriger Exportkaufmann aus Cognac namens Jean Monnet dem französischen Premierminister einen ungewöhnlichen Vorschlag: Um die kriegswirtschaftlichen Anstrengungen besser zu koordinieren, sollten Franzosen und Briten eigene Organe schaffen und diesen gewisse Entscheidungsrechte übertragen. Mit dieser Idee, dem Verzicht eigener Souveränität zugunsten einer supranationalen Einrichtung, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, war erstmals das wichtigste Organisationsprinzip der europäischen Integration formuliert.

Keimzelle "Montanunion"


Fast 40 Jahre später legte Monnet mit dem Plan zur "Montanunion" die Keimzelle für die Europäische Union in ihrer heutigen Form. Zu Recht gilt er als einer der Gründerväter Europas. Auch der Wiener Politikwissenschaftler Klaus Lohrmann und der Innsbrucker Historiker Michael Ley würdigen in ihrer Geschichte des "Projekts Europa" seine bedeutende Rolle.

In ihrem pünktlich zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge im März erschienenen "Streifzug durch die Geschichte der europäischen Integration" zeichnen sie die großen Linien in der Entwicklung Europas seit 1945 nach. Gemäß dem Motto "Männer machen Geschichte" rücken die Autoren in ihrem flüssig und unterhaltsam geschriebenen Abriss die historischen Protagonisten in den Vordergrund, die die Einigung Europas immer wieder unter Nutzung des richtigen Zeitpunktes mit Leidenschaft und Hartnäckigkeit vorantrieben: von Monnet und Schuman über Schmidt und Giscard d'Estaing bis Mitterand und Kohl.

"Wille zu Europa"

Dass die "Methode Monnet" allerdings spätestens mit dem Scheitern der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 an ihre Grenzen gestoßen ist, erkennen auch beide Autoren an: Nun gelte es, der europäischen Einigung durch die Ausbildung einer europäischen Identität - einem "Willen zu Europa" - neue Impulse zu verleihen. Beide lassen zugleich keinen Zweifel aufkommen, dass es zur europäischen Einigung keine Alternative gibt. Vor allem auf Deutschland und Frankreich komme es an, damit neue Kapitel des Entwicklungsromans geschrieben werden können - keine falsche Einschätzung, bedenkt man die jüngsten Fortschritte beim EU-Reformvertrag.

Insgesamt bietet das Werk von Ley und Lohrmann keine neuen Erkenntnisse. Überdies wäre eine Bibliographie wünschenswert gewesen. Ihr historisch-narrativer Ansatz gibt dem Leser gleichwohl einen raschen Überblick über die Genese Europas und zeigt erneut nachdrücklich, dass Fortschritte im "Projekt Europa" mühsam im politischen Tagesgeschäft errungen werden müssen.

Robin Rüsenberg

Michael Ley/Klaus Lohrmann, Projekt Europa. Erfolge - Irrtümer - Perspektiven, Düsseldorf 2007, Patmos Verlag, 278 S., 24,90 Euro, ISBN 978-3-491-35002-1

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