Kultur

Wunderland ist abgebrannt. Wie wir noch zu retten sind

von Dagmar Günther · 5. April 2007

Michael Opoczynski setzt in seinem Buch zu einer breit angelegten Betrachtung des offensichtlichen Niedergangs des einstigen Wunderlandes an. Dabei beschränkt er sich nicht allein auf die Benennung aktueller Krisenmomente. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wohin die diagnostizierten Indikatoren eines tiefen gesellschaftlichen Wandels münden werden. Er untersucht dabei on vier zentrale Themenbereiche.



Erstens: Der demographische Wandel


Die deutsche Gesellschaft altert. Angesichts konstant niedriger Geburtenraten und steigender Lebenserwartung ist dieser Trend kaum mehr umzukehren. Steigende Kosten im Gesundheitswesen und stärkere Belastung der Rentensysteme sind die absehbaren Folgen. Trotz dieser Aussichten gibt der Autor jedoch zu bedenken, dass jene "Alten" zumeist über höhere Einkommen verfügen und ihre Konsumbereitschaft keineswegs abnimmt, ebenso wenig wie deren Bereitschaft sich fortzubilden. Problematisch jedoch stuft Opoczynski den sich im Alter verstärkenden Prozess gesellschaftlicher Spaltung ein: Die Situation der bildungsfernen und finanziell Benachteiligten werde sich im Alter zunehmend verschärfen und in sozialer Ausgrenzung münden.

Zweitens: Veränderung der Arbeitswelt

Auch hier kündigen sich angesichts fortschreitender Rationalisierungsmöglichkeiten und sich vernetzender Weltwirtschaft mit einhergehender Produktionsverlagerung in die Billiglohnländer dramatische Veränderungen an. Die dabei oft beschworene Flexibilität der Arbeitnehmer wird in Zukunft noch deutlicher als Euphemismus für Zeitverträge, schlechte Bezahlung und dem wirtschaftlichen Zwang von Nebenjobs in Erscheinung treten. Nur ein begrenzter Kreis werde zu den Profiteuren dieser Entwicklung zählen können. Die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich werde voranschreiten, wobei Mindestlöhnen oder auch dem Konzept eines Bürgergeldes nur geringe Chancen beigemessen werden.



Drittens: Die Zukunft der Unternehmenswelt


Ebenso wie die Strukturen des Arbeitsmarktes von der Globalisierung bestimmt werden, werden es auch die der Unternehmenswelt. Die arbeitsteilige Weltwirtschaft wird das Transportaufkommen weiter ansteigen lassen - mit allseinen zerstörerischen Folgen für das Klima.

Die Urbanen Zentren werden die Innovationsschmieden der Zukunft werden. Millionenstädte wie Tokio, New York oder die aufstrebenden Metropolen in Indien und China drohen die deutschen Wirtschaftsstandorte in den Hintergrund zu drängen.



Viertens: Die Rolle des Staates


Wie in der Wirtschaft, so deuten sich auch im staatlichen Bereich tiefgreifende Veränderungen an. Der schlanke Staat von Morgen zieht sich zurück und überlässt einst staatliche Funktionen der Privatwirtschaft. Die Deregulierung des Strommarktes sowie des Schienenverkehrs, wie auch der Börsengang von Telekom und Post in der Vergangenheit war nur der Anfang. Weitere Bereiche werden folgen.

Die bereits bestehenden regionalen Unterschiede werden weiter voranschreiten. Die erfolgreichen Wirtschaftszentren der Bundesrepublik werden die strukturschwachen weiter abhängen und die Migration innerhalb des Landes vorantreiben.



Fazit: Geteiltes Deutschland


Das Phänomen gesellschaftlicher Spaltung in Arm und Reich, Gewinner und Verlierer der anstehenden Veränderungen mag als Ergebnis des vorliegenden Buches gelten. Unbeachtet bleibt jedoch die Frage, welche dramatischen Risiken jene Spaltung für den sozialen Frieden in unserem Land birgt.

Eine Erörterung dessen hätte wohl zugegeben den Rahmen des Buches überspannt, zumal die breite Darstellung der Krisenphänomene ohnehin eine tieferergehende Analyse vermissen lässt. Zudem finden sich in diesem Buch doch zahlreiche Gedankensprünge und Wiederholungen bereits benannter Aspekte, die einer stringenten Darstellung entgegenstehen.

Bedauerlich ist auch, dass der Autor dem Untertitel seines Buches Wie wir noch zu retten sind kaum gerecht wird. Dieser Fragestellung sind lediglich die letzten 12 Seiten gewidmet, auf denen Opoczynski an die Eigenverantwortung seiner Leser appelliert um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenzutreten.



Ulf Lindner


Michael Opoczynksi: Wunderland ist abgebrannt. Wie wir noch zu retten sind, Droemer/Knaur, München 2007, brosch., 269 Seiten, 16,90 €. ISBN: 978-3-426-27417-0

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare