Kultur

Ein ungewöhnliches Drama

von Dagmar Günther · 12. Januar 2007

Die "Spuren der Verirrten" sind von dem international viel geehrten und diskutierten Altmeister als fließender Text verfasst worden und muten vom äußeren Aufbau her an wie moderne Kurzprosa, nicht wie ein zur Umsetzung auf der Bühne geschriebenes Stück..

In die karge Beschreibung des Geschehens sind die ebenso knappen Dialoge eingeflochten. Die Protagonisten, die Handlungsträger auf der Bühne, sind minimal charakterisiert und mitunter nur der Zahl nach (eins, zwei, drei oder vier, Paare oder einzelne, eine Menge, dann noch der Zuschauer) benannt. Selbst, ob es sich um Mann oder Frau handelt, ist mitunter nicht klar erkennbar.

Flüchtig

Auch die Tätigkeiten, die sie vollführen, sind scheinbar nicht sehr umfangreich; sie dauern jeweils nur einen Moment, ganz gleich, ob sie geredet oder geschwiegen, gegangen oder gestanden wird, ob man einander zärtlich berührt, wegstößt oder schlägt.

Alles dauert nur einen Moment . Es gibt nichts Selbstverständliches in diesem Stück, denn allem haftet der Reiz des Flüchtigen an. Dem täglichen Leben wird damit die Selbstverständlichkeit genommen

Man ahnt: Es geht um Grundsätzliches im menschlichen Handeln, um das, was Harmonie und Gefühl füreinander entstehen lässt, aber auch Hass und Widerwillen.

Vergänglich

Das Wort "noch" spielt eine große Rolle. Herausgestellt wird die Vergänglichkeit und damit die Bedeutung des einzelnen Moments. Nach dem Ziel wird gefragt und der Zuschauer erhält selbst eine wichtige Rolle. Vom "guten, überzeugenden Zuschauer" wird gesprochen. Die Rollen verkehren sich auf diese Weise bereits zu Beginn des Stückes.

Aus dem Beladenen wird der Freie, aus dem Schläger der Geschlagene, aus dem Fühllosen der Fühlende. Der Zuschauer wird als Zeuge angerufen und gleichzeitig bezichtigt nichts verstehen zu können, da er am das jeweilige Geschehen auslösenden Moment nicht teilgenommen habe. Derart in das Geschehen hineingerissen wird aus dem in der Ich-Form sprechenden Zuschauer ein Akteur. Keiner ist vom Wandel ausgenommen in diesem zutiefst

philosophischen Text.

Dorle Gelbhaar



Peter Handke: Spuren der Verirrten, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006, 88 Seiten, 14,80 Euro ISBN 3-518-41854-8

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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