Inland

Mehr Lohn statt Steuersenkungen

von Vera Rosigkeit · 26. November 2008
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In Deutschland sind die Arbeits- und Lohnstückkosten auch in 2007 nur gering gestiegen. Das hätte "zwar zur enorm starken Entwicklung der deutschen Exporte beigetragen", erklärte Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Unserer Volkswirtschaft insgesamt helfe das aber nur bedingt, fügte der Ökonom hinzu, "denn als Kehrseite der Medaille schwächeln im Inland die Einkommensentwicklung und die Nachfrage."

Deutsche Lohnentwicklung niedriger als EU- Durchschnitt

Zum Vergleich: Während die Arbeitskosten in der EU um durchschnittlich 3,7 Prozent und in der Eurozone um 2,6 Prozent stiegen, betrug der Zuwachs in Deutschland lediglich 1,2 Prozent. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein neuer Bericht über die Entwicklung der Reallöhne ( Global Wage Report 2008/09) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Dem Bericht zufolge sind zwischen 1995 und 2007 für jedes Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die Löhne nur um 0,75 Prozent gestiegen. Resultat: In fast drei Vierteln aller Länder schrumpfte mit der Lohnquote auch die Kaufkraft. In Deutschland lag der Reallohnzuwachs zwischen 2001 und 2007 bei lediglich 0,51 Prozent. Weiteres Ergebnis des Berichts: Seit 1995 ist die Kluft zwischen den höchsten und den niedrigsten Löhnen in über zwei Dritteln aller untersuchten Länder "mitunter auf ein sozial unhaltbares Maß" gewachsen: Unter den Industrieländern am schnellsten in Deutschland, Polen und den USA.

Mindestlohn und Lohnerhöhung fordern

Der geringe Anstieg der Arbeits- und auch der Lohnstückkosten gingen laut Horn "nicht mit einer besonders positiven Entwicklung des Wirtschaftswachstums oder der Beschäftigung" einher. Denn nicht das geringe Niveau der Arbeitskosten, sondern ein starkes Wirtschaftswachstum sorge für mehr Jobs. "Dazu trägt aber in einer großen Volkswirtschaft wie der deutschen die Binnennachfrage nach wie vor deutlich mehr bei als der Export." Deshalb, so Horn, könne sich die "einseitige Exportorientierung im Hinblick auf die Folgen der Finanzkrise negativ auswirken", weil Deutschland über keine stabile binnenwirtschaftliche Entwicklung verfüge. Horns Empfehlung ist klar: Gerade jetzt seien spürbare Lohnerhöhungen, die sich an der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank und am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätstrend orientieren "für die binnenwirtschaftliche Stabilisierung dringend erforderlich." Dies würde auch helfen, möglichen Deflationsgefahren zu begegnen.

Auch ILO-Generaldirektor Juan Somavia rät zu Lohnsteigerungen: "Die Legitimität der Globalisierung und von offenen Volkswirtschaften und Gesellschaften hängt davon ab, dass wir zu einem faireren Ergebnis kommen, heißt es in einer Pressemitteilung. "Ein zentraler Bestandteil dieser Fairness ist, dass erwerbstätige Männer und Frauen einen fairen Anteil des Reichtums erhalten, den sie erwirtschaften."

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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